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Salon am Gartenwegi

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NAGA

Nachtessen am Gartenweg: Die Ausstellung und ihr Publikum

BEAT GUGGER. Die erste Ausstellung machte ich mit sechs. Über die Mondlandung. In meinem abgedunkelten Kinderzimmer. Ich habe ein Mondlandegerät auf eine schräge Fläche gestellt. Meine Schwester war Kritikerin. - Nein. Im Ernst. Ich habe eine Zeit lang Schule gegeben und dann gekündigt. Daraufhin bin ich gefragt worden, ob ich mithelfe, das Ortsmuseum Langenthal aufzubauen. Eineinhalb Jahre hatten wir dazu Zeit. Ich merkte, was überhaupt ein Museum ist. Ich wollte mehr wissen und ging an die Universität. Geographie und Geschichte war meine Hauptlinie. Bei einem Projekt, bei welchem es darum ging, alte Wege zu erforschen, bin ich hängengeblieben. Vor zehn Jahren habe ich dann beim Schlossmuseum in Burgdorf begonnen. Zuerst 50%, dann 30%. Ich wurde angestellt, um ein Standortinventar zu machen. Ich habe begonnen, thematisch auszustellen. Das Standortinventar ist immer noch nicht gemacht. Achtzig- bis hunderttausend Objekte hat das Museum. Im Schlossmuseum gibt es fast alles. Glocken aus Kirchen, Kreditkarten, Rasierapparate, Keramik. Unendlich Platz, beschränkt. Die Sammlungsstücke werden geschenkt. Ich mache die Selektion. Zum Beispiel starb ein berühmter Singlehrer. In seiner Wohnung fand man ein wunderbares Puppenspiel. Das ist jetzt im Schlossmuseum. Fast jeder sammelt etwas. Kürzlich haben wir ein wunderbares Mieder bekommen, eine Sennenkutte aus Ostpreussen. Ich versuche vor allem die Geschichte zu den Objekten zu dokumentieren.

ADI. Ein Kuriositätenkabinett?

BEAT. Ja, das ist Thema. Für die Ausstellungen bin ich Objektjäger. Eine Ausstellung ist eine Trophäensammlung. Für meine kommende Ausstellung in Schwyz suche ich einen Schädel mit zwei durchgehenden Zahnreihen. Es gibt eine Sage über einen Riesen im Muotatal. Ich versuche Sage und Schädel zusammenzubringen.

ADI. Ist es die Idee, der voraufklärerischen Wunderkammer?

BEAT. Mich interessiert, wie die Welt eingeteilt, geordnet ist. Es gibt ganz verschiedene Ordnungen. Jede Ordnung ist eine andere Art, die Welt zu sehen. Die Kunst- und Wunderkammer zeigte die Absurditäten, die Ausnahme. Nicht die ideale Norm. Sie wollte zeigen, wie vielfältig Gott die Welt geschaffen hatte. Hingegen unser Biologieunterricht, zum Beispiel, lehrt uns nur eine Ordnung.

CLAUDIUS. Kann es nicht auch sein, dass der Unterhaltungswert des Abnormen dazu dient, uns das Normale zu zeigen. Man präsentiert ein zweiköpfiges Kalb, damit man wieder das einköpfige betrachtet.

BEAT. Es hat mit Sensation zu tun auf jeden Fall. Ich versuche die Sensation in einen intelligenten Kontext zu stellen. Ich suche die Geschichten dazu. Und bisher - zum Glück - habe ich fast immer mit Narrenfreiheit meine Projekte durchführen können. - Jetzt ist mir vom Kunsthaus Langenthal ein Projekt abgesagt worden. Über ein Jahr habe ich an einer Ausstellung über Utopien und Visionen gearbeitet. Langenthal ist dieses Jahr halt ohne Zukunft. - Im Forum Schlossplatz habe ich eine Ausstellung über das Alpenglühen gemacht. Es ist schon spannend: je dreckiger die Luft ist, umso schöner ist das Alpenglühen. 1888, als der Krakatau ausbrach, gab es irrsinnige Alpenglühen. Durch die Ascheschicht erlebt das Licht eine grössere Brechung. Das ist auch die Zeit, als die Alpenglühenforschung ins Rollen kam. Paul Gruner, zum Beispiel, hat das Alpenglühen erforscht, während Albert Einstein an seiner Relativitätstheorie tüftelte.

ADI. Schreibst du?

BEAT. Schreiben finde ich furchtbar einsam. Für mich ist es die unmöglichste Form kultureller Äusserung. Es ist auch anstrengend. Ich muss mich immer an den Tisch prügeln. Mit Ausstellungen muss ich auf eine andere Art extrem diszipliniert sein. Es geht teilweise auch um grosse Sachwerte. Ich erzähle im Raum mit Gegenständen. Es ist ein nichtlineares Erzählen. Nur mit Mühe ist eine Ausstellung in einem Katalog darstellbar. Die dritte Dimension fehlt. Es bedarf zusätzlicher Erklärungen. Das Fotografieren von Ausstellungen stellt einem vor dasselbe Problem. Ich sage mir, wenn man eine Ausstellung nicht gut fotografieren konnte, dann war es eine gute Ausstellung. Ich schaue zum Beispiel auch nicht gerne Theateraufführungen im Fernsehen.

ADI. Da ist wieder das Problem unserer verschriftlichten Kultur. Um ein sinnliches Ereignis zu dokumentieren, zu historifizieren, muss es zweidimensional gemacht werden mit Schrift und Bild. Und da spüre ich einen Widerspruch: immer mehr Leute machen Events, Ereignisse, doch grössere Geltung hat immer noch das Verschriftlichte.

CLAUDIUS. Es ist doch sehr pluralistisch. Ob wir hier anwesend sprechen oder gewisse Sachen per e-mail austauschen. Beide Sachen funktionieren. Man kann nichts zur Regel machen.

ADI. Ich meine, da geht eine Schere auf. Die Kulturvermittler setzen auf medial und global. Die Kulturschaffenden setzen auf Event. Die Strukturen des Kulturbetriebs (ich meine da Kunsthäuser, Universitäten...) sind aufs Mediale ausgerichtet.

BEAT. Schrift und Bild sind magazinierbar. Das hat eine Langzeitdauer. Da ist schon eine Wertigkeit wenn man die Kulturetats von Kunstmuseen und Organisationen, die mit Performance schaffen, vergleicht. Da gibt es ja noch das Theater.

ADI. Aber auch dort gibt es die Tradition der Guckkastenmagazinierbarkeit.

BEAT. Ich tue mich häufig schwer mit der Medienberichterstattung über Ausstellungen. Die Kritiker und Kritikerinnen besprechen häufig nur die Inhalte und selten die Ausstellungsform, die Umsetzung. Sie müssten wissen um das sinnlich Erfahrbare. Die Inszenierung ist mir häufig wichtiger als die Objekte selber. Mich interessiert, was da ist, und die historische Dimension und wo es hingeht.

ADI. Wie bist du zum Thema "Utopie" gekommen?

BEAT. Ich wuchs auf im Spannungsfeld Kapitalismus-Sozialismus. Aber auch Themen aus der Romantik haben mich immer interessiert. Klar habe ich auch eine Hoffnung auf Veränderung. Alles könnte anders sein. In der heutigen Zeit geht nichts mehr auf. Aber es ist doch nicht möglich, dass alles nicht mehr gut ist. Utopisten sind die Verlierertypen der heutigen Zeit. Hier kommt auch wieder mein historisches Interesse zum Zug. Alle wollten und wollen immer wieder neu anfangen. Rousseau begann von vorne. Pestalozzi begann von vorne. Jeder will das Rad neu erfinden. Damit die Menschheit endlich ins Paradies kommt.

ADI. Kuriositätenkabinett UTOPIE?

BEAT. Die Utopie ist im Kuriositätenkabinett. Und man träumt weiterhin, dass es anderes gibt und - man wird selber kurios. Der Architekt Haller erzählt mir von seinem Haus der Zukunft. Und ich bin versucht, zum Macher zu werden. Ich will die Idee unter die Leute bringen. - Das Kuriositätenkabinett ist nicht nur das Abartige. Es hat mit dem "Kopfschütteln" zu tun. Da spricht einer vom Stausee Emmental. Ich bin von der eigenartigen Idee überrascht.

ADI. Wie denkst du von sozialen Utopien? Wird der Markt alles regeln? Utopien sind nicht mehr erlaubt - Prognosen hingegen schon.

BEAT. Prognosen scheinen kurzfristig erfolgreicher zu sein als Visionen. Sie sind zeitgebunden und nicht heilbringend. Aber was wissen wir schon. Ein Lawinenwinter stellt jede Kalkulation auf den Kopf.

ADI. Man sagt, es gibt keine Geschichte, es gibt nur Geschichten. Könnte man sagen, es gibt keinen Gesellschaftsentwurf, es gibt nur Gesellschaftsentwürfe?

BEAT. Das Buch über die Römer wird von jeder Generation wieder neu geschrieben. So erfindet der Utopist jeder neuen Generation das Rad wieder neu. Vor zwanzig Jahren wurden für den Sozialismus Menschen erschossen. Heute ist er ein Kuriosum.

CLAUDIUS. Wie bei der Debatte der Grünen in Deutschland. Wenn die Partei nicht wandlungsfähig sei in den Inhalten, dann gibt es kein Überleben, sagen die einen. Die anderen sagen, wir haben versagt. Wir sind uns nicht treu geblieben. - Wie sieht es aus bei der Wahl der Wohnform? Viele sagen: ich will eine neue Lebens- oder Wohnform. Ich will nicht mehr in Mietwohnungen wohnen. Aber niemand sagt, ich schlage konkret folgende Struktur, Lebensgemeinschaft vor. Alle haben saubere Wohnungen und stabile Verträge. Die Prognose ist eine Mischung zwischen Praxis und dem Was-man-sich-so-zusammenreimt. Eine andere Generation wird blitzartig da sein (im Jahr 2002). Das ist meine Prognose. Zudem. Eine Theorie muss richtig Spass machen. Sie ist ja nichts wirkliches. Nur wenn sie Spass macht kann sie überzeugen.

BEAT. Genauso unwirklich sind Wirtschaftskrisen. Sie passieren im Kopf. Ich gehe so weit zu behaupten, die Wirtschaft braucht die Krise, um ihre Gewinne zu maximieren. Utopien und Visionen machen Angst. Experimentelle Wohnweisen könnten den Komfort einschränken.

CLAUDIUS. Wir befinden uns in der Hochblüte postmodernen Bewusstseins. Es ist die Zeit der Superaufklärung. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle. Jeder wird mehr selbstbewusst und immer weniger Herdentier. Ich rechne ökonomisch, dass ich noch, sagen wir, dreissig Jahre zu leben habe. Ich weiss, wie das mit mir und der AHV aussieht. Wenn etwas nicht in meine Ökonomie passt, kann ich es kategorisieren. Ich weiss, was es ist, weil ich mündiger geworden bin. Keine Ohnmacht ist möglich als eine Basis fürs Handeln auf einem kollektiven Level. Es gibt eine unendlich grosse Palette von Fluchtmechanismen.

ADI. Das ist die unverbindliche Verbindlichkeit.

CLAUDIUS. Ich schlage vor, man müsste eine Musseattacke starten, einen zweiten Hippiezug. Man müsste zeigen, wie müssig man leben kann heute. Nur noch profitieren auf dem Level, den die Gesellschaft bietet.

ADI. Das neue Dandytum?

CLAUDIUS. Subversiver Dandy sein. Geselligkeit als Dandytum.

ADI. Das Lernfestival, das in verschiedenen Schweizer Städten stattfindet, verleiht Preise für eine geknickte Karriere. Wer sich nicht mehr eine Karriereleiter hocharbeitet, wird ausgezeichnet. Ich fände es gescheiter, neue Arbeitszeitmodelle einzuführen.

CLAUDIUS. Machen wir doch ein Brainstorming. Was ist die Prognose für deine persönliche Zukunft?

BEAT. Morgen ist Samstag.

CLAUDIUS. Im Ernst? Denkst du nie ans Jahr 2020?

BEAT. Ich denke ans Jahr 2000. Seltsamerweise ist für mich das Jahr 2000 weiter weg als die zwei Jahre, die ich eben verlebt habe. Nach vorne denken ist schwieriger als zurück.

Wer die Protokolle per e-mail erhalten will, soll mir die Adresse schicken (alilum@bluewin.ch). Auch nehme ich gerne Themenvorschläge für eine zukünftige Diskussion entgegen. Und wer die Protokolle nicht mehr erhalten will, soll mir das doch auch mitteilen.


Nächstes Treffen: Gartenfest, Freitag, 25. Juni, ab 18 Uhr: Heiteres Würstebraten

Wir möchten gerne die Diskussion "Publikum" beschliessen und neue Bereiche (und Formen?) auskundschaften. Um dies zu tun, aber auch schlicht um Würste zu braten, seid ihr herzlich eingeladen.

Am 28. Mai war Beat Gugger, freier Ausstellungsmacher, zu Gast. Anwesend waren Bruno Zihlmann, Adi Blum, Claudius Weber und Judith Huber. Das Nachtessen bestand aus grünen Spargeln und Bündner Rohschinken.


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