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Salon am Gartenwegi

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SALON HERDSCHWAND

Über Mittel und Wege - Lebensmittel zur Diskussion gestellt

Einstand an der Herdschwandstr. 7 in Emmenbrücke.

Für den 1. März hatten wir - wie angekündigt - keinen "Special Guest" eingeladen, da wir über Modus des Salons und mögliche Themen unterhalten wollten. Zur Diskussion eingefunden haben sich: Heidi Gabriel, Graziella Berger, Adi Blum, Kathrin Borer Gertrud Genhard, Heidy Greco, Judith Huber, Daniel Kasztura, Susanne Morger und Tamas Sasvary. Zu essen gab es vier verschiedene Kartoffelgerichte.

Von der "Kartoffel" ausgehend, tasteten wir uns an diesem Abend ans Thema "Mittel und Wege - Lebensmittel zur Diskussion gestellt" an. Es zeigte sich schnell, dass mit diesem kulinarischen roten Faden zahlreiche Problemfelder angerissen werden können (Ernährungsberatung, Biodiversität, subjektive Überlebensstrategien, etc.), so dass wir ohne Probleme zwei, drei Stunden diskutieren konnten.

Adi betonte als Einleitung das "Denkbare" und (Sozial-)Utopische, das auch diesem Thema anhaftet und verwies einmal mehr auf den französischen Philosophen Charles Fourier, der die Feinschmeckerei als einen wichtigen Teil einer zukünftigen sozialen Praxis sah. Die Zivilisation sei erst überwunden, wenn an den nationalen Grenzen nicht mehr gekämpft, sondern mit französischen Soufflées und deutschen Kompotten konkurriert werde, Kriege also durch grosse nationale Kochwettkämpfen ersetzt worden seien. Er sah in seiner Philosophie vor, dass im Alltag die grossen Mahlzeiten durch zahlreiche kleine ersetzt würden. Auch legte er Wert auf eine vorteilhafte Auswahl der Gäste:

"Die Tafelfreuden bestehen nur zur Hälfte aus der guten Küche. Was sie vollendet, ist eine kluge Auswahl der Gäste, die die Zivilisation nicht gewährleisten kann. Selbst der verschwenderischste und raffinierteste Lebemann ist nicht in der Lage, eine so harmonische Gesellschaft um sich zu versammeln, wie dies in der neuen Gesellschaftsordnung möglich ist. Auch der Ärmste wird sich in ihr bei seinen Mahlzeiten wohlfühlen. Sie werden das ganze Jahr hindurch wechseln." (Charles Fourier)

Judith las anschliessend "Das Gedicht von der vielfältigen Kartoffel" von Al Imfeld.

"Wir assen [die blauen Kartoffeln], wenn es uns sozial schlecht ging. Dahinter stand ein alter Traum: was du isst, das wirst du. (…) Da gab es auch "die Rote": die Kartoffel unserer Partei, der katholisch-konservativen. (…) Ich weiss nicht, ob die liberalen Bauern auch die rote Sorte pflanzten und assen. Für die anderen hätte es einen schwarzen Härdöpfel geben müssen." (Al Imfeld)

Als Fremdling hatte die Kartoffel auch hier gegen vielerlei Vorurteile anzukämpfen. Darüber habe auch der Schweizer Schriftsteller Jakob Bührer in einem seiner Romane ausführlich berichtet, sagte Daniel. Überhaupt sei der Speiseplan zu anderen Zeiten ein ganz anderer gewesen, sagte Heidy Greco. Im Mittelalter habe es die "Heroldspysen" und die "Burenspysen" gegeben. Es gab Gesetze, die bestimmten, wer was essen durfte. Man spreche von der sogenannten "Brei und Musgesellschaft des Mittelalters". Nur die Herren durften jagen und fischen, die Bauern assen Hülsefrüchte, Getreide, vielleicht auch Hühner. Das "gute" Fleisch war Privileg der Oberschicht. (Eine aufschlussreicher Aufsatz von Heidy Greco zu diesem Thema kannhier abgerufen werden.) Eine Phase des Auslotens des Themas begann.

Ist günstiges Essen gesundes Essen? Isst wer Geld hat, gesunder?
Graziella: Das ist heute noch genau gleich. Daniel: In der Migros wollen die Leute nur noch die erlesenen Stücke…
Kathrin: Ein spannendes Beispiel hierzu ist die Ex-DDR - Lebensmittelallergien in hohem Mass kamen erst auf mit der Wiedervereinigung. Mit dem Aufgehen der Märkte kamen die Allergien. Vorher sei weniger gekauft, Eingemachtes selber gemacht worden.
Daniel: Die Hülle verführt zum Produkt. Das Geschmacksempfinden nimmt ab.
Graziella: Alle meine KünstlerkollegInnen, die nach Grossbritannien gingen und zurückkamen, hatten hier Kieferprobleme. Hartes, knuspriges Brot ist auf der Insel selten. Sie hatten regelrecht Muskelkater. An einer heutigen "Brei- und Musgesellschaft" ist schon was dran. Sozial tiefer gestellte Schichten bekommen nur das breiige Brot.
Adi: Kann heute (in der Schweiz) nicht jeder gesund essen, der will?
Judith: Wir sind aufgeklärt - jeder weiss, was gesund ist und was nicht. Aber konsequent gesund einkaufen tue ich nur etwa drei oder vier Produkte. Alles andere geht nach Gelüsten. Ich trinke Kaffee zum Beispiel.
Heidy: Das günstigste ist auch das gesundeste! Zudem kauft man anders ein, wenn fünf Leute ernährt werden müssen. Ich kaufe jeden Mittwoch einen grossen Wagen voll. Ich versuche einen gesunden Mix zu machen. Wenn ich nur "biologisch" einkaufen würde, dann würde ich mich nur noch ums Essen kümmern. Es ist ein Zeitfaktor. Ich kann nur einmal wöchentlich einkaufen. Daher kaufe ich für den ersten Teil der Woche leicht verderbliche Sachen, für den zweiten weniger verderbliche.
Susanne: Die Beschaffung ist auch das Problem der "Working Poors". Gesund oder nicht gesund? Hauptsache satt.
Kathrin: Knallhartes Budget.
Graziella: Wie sieht das bei euch aus? Tamas. Ich kaufe im Gänterli, in der Migros, hauptsächlich auf dem Markt. Susanne: Ich habe absolut keine Regelmässigkeit.
Judith: Ich ernähre mich immer bewusster. Das braucht Organisation.
Heidi: Was heisst überhaupt gesund?
Heidy: Gesundheit heisst für mich auch sich gut fühlen, schön kochen, Stimmung am Tisch, mit Genuss essen.
Adi: Hier können wir ein weiteres Thema antippen: Die Schlemmerei. Oder Essen als Lebensstil: Fast food? Slow Food? Soul Food?

(Soul Food ist eine Weiterentwicklung der Essgewohnheiten der Afro-Amerikaner, die in früheren Jahrhunderten auf den Plantagen des Südens arbeiten mussten. Sie verfügten im Prinzip nur über die Lebensmittel, die ihre Besitzer ihnen zukommen liessen - magere Portionen von Mais, Bohnen und Reis, dazu die Fleischstücke, die in den Herrenhäusern selbst verschmäht wurden: Schweinefüsse, Schweineohren, Innereien.)

Heidy Greco kam auf den Convivii Process zu sprechen. Vor drei Jahren hat sie Renward Cysats "Convivii Process" (1593) als kommentierte Erstausgabe herausgegeben. Das Stück "Convivii Process wurde auf dem Luzerner Weinmarkt als 2-tägiges Fasnachtsspektakel aufgeführt. Dem Gastmahl und der Schlemmerei wurde damit öffentlich der Prozess gemacht. Fressorgien und Sauforgien wurden vorgeführt. Dann kamen die Krankheiten auf die Bühne und überfielen die festfreudigen Schlemmerer. Diese mässigten sich für eine Weile. Dann begannen sie wieder von vorne. Die Krankheiten kamen in Begleitung mit dem Tod und Teufeln, schlugen zu, schlugen tot und schleppten die Schuldigen in die Hölle. Die Schlemmerei wurde angeklagt und es gab einen Schauprozess, wo alle möglichen Ärzte des Mittelalters und der Antike auftraten. Die Schlemmerei wurde verurteilt und öffentlich hingerichtet. Die Moral der Geschichte? Die Bauern, die plötzlich besseres Essen begehrten, sollten gemässigt werden! Aber auch die ganze katholische Sinnlichkeit wurde angeprangert. Man solle einfach bleiben, einheimische, einfache Speisen essen, nicht nach exotischen französischen verlangen.

Adi: Kennt ihr noch die Völlerei? Essen bis man platzt? Familienfest, die üppige "Nidle" in Gotthelfs "Schwarze Spinne" gegen die man sich nicht wehren darf, ohne als Verächter der Gastfreundschaft dazustehen.
Daniel: Von der Ex-DDR her kenn ich noch den Begriff "die Sättigungsbeilage" für Nudeln, Reis, Kartoffeln…
Susanne: Als Kind von neureichen Eltern bin ich im Paradies der Halbfertig-Produkte aufgewachsen: Tiefkühlware, Ravioli, Torten aus dem Coop. Man musste zeigen, dass man Stutz hat. Am Sonntagstisch wurde im Restaurant die Schwarzwäldertorte aufgefahren und ich musste sie essen.
Heidy: Die Katholiken kannten die Festzeiten und die Fastenzeiten. Man hat in den Festzeiten auf Vorrat gegessen. Völlerei war da ein Zustand. Die Riesenwürste für die Fasnacht. Richtige Fleischorgien wurden da gefeiert.
Judith: Es gibt da eine aktuelle Meldung aus der Zeitung: Feste feiernden Wurstliebhabern wurde in Serbien der Zugang zur Kirche verwehrt…
Adi: Das war doch auch im Spätmittelalter Staatsphilosophie. Die Unersättlichkeit des Menschen war ein Faktum. Der Staat musste mässigend eingreifen, da man davon ausging, dass der Mensch von sich aus essen und essen würde, bis er platzt.
Heidi. Das kennen wir doch auch. Wenn es einmal etwas gratis gibt, dann wird zugeschlagen. Der heisse Kampf ums kalte Buffet. Wir haben das in uns.
Adi: Das nun ist der Überlebenskampf.
Heidy: Heute gibt es aber beides. Man mag sich gar nichts gönnen, mag gar nichts essen. Das führt zur Magersucht. Oder: die Bewegungslosigkeit und das unmässige Essen führen zur Fettsucht. Im Anschluss, aber immer noch heftig diskutierend, trugen wir Themen zusammen, die in den folgenden Salons zur Sprache kommen könnten. "

Hunger / Durst
Pro Spezie Rara
Selbstversorgung
Symbolhafte Lebensmittel
Liebe und Fressen
Überlebensstrategien: wer überlebt wie?
Ernährungsstrategien
Migros versus Coop
Ressourcen: parteipolitische Ausrichtungen: ein Vergleich
Drittweltbereich: Kaffeeplantagen, Fairer Handel: Woher kommt was? Auch Kleider.
Genmanipulation zur Diskussion gestellt
Bio-Diversität
Fett- Magersucht, Leute, die es überwunden haben
Fast-, Slow-, und Soul-Food
Iso-Star und anderes Functional Food
Innovative KöchInnen
Menschenfresserei
Weltrekordhalter im Wurstessen oder Biertrinken


Zum Modus: wir haben keinen Wochentag als fixer Termin bestimmt, sondern wir wollen jeden Wochentag zu seinem Recht kommen lassen. Das erste Salongespräch war an einem Montag, das zweite wird an einem Dienstag sein, das dritte an einem Mittwoch und so weiter. So haben alle die Chance, trotz Turnverein und Lesegrüppli, einmal an einem Salon an der Herdschwand teilzunehmen.

Wer die Protokolle per E-Mail erhalten will, soll mir die Adresse schicken > alilum@bluewin.ch. Und wer die Protokolle überhaupt nicht mehr erhalten will, soll mir das doch auch mitteilen. Liebe Grüsse Adi
und Judith.


Nächstes Treffen: Dienstag, 13. April 04, um 19 Uhr, Herdschwandstr. 7, Emmenbrücke: Die "natürliche" Auslese (mit Béla Bartha, Geschäftsführer Pro Specie Rara).

Wir möchten wissen, wieviele Apfelsorten es in der Schweiz tatsächlich noch gibt und warum es die eine oder andere eher in die Auslagen der Lebensmittelladen schafft. Werden wir hier um die reichen Schätze der Natur geprellt? Oder handelt es sich hier um eine "natürliche" Auslese? Dies ist natürlich nur die Ausgangslage für das Gespräch, welches weitere Runden ziehen soll.

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SALON HERDSCHWAND
alilum@bluewin.ch
Tel.: +41 41 440 56 09