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Nachtessen am Gartenweg: Ins Netz gegangen

Mark Amerika, Florian Cramer, Leslie Huppert und Fevzi Konuk stellten im ersten Teil der Veranstaltung zum Thema "Interfiction > digitales Erzählen" in der Boa, Luzern, ihre aktuellen Netzarbeiten vor. Anschliessend fand eine Debatte über "Literatur im Netz" statt. Moderation: Roberto Simanowski. Die NZZ berichtete in ihrem Feuillton über unsere Veranstaltung. Ganz im Sinne von surf > sample > manipulate habe ich den Artikel umgearbeitet. Wer das Original lesen will, muss sich auf die Site der NZZ begeben: http://archiv.nzz.ch/books/nzzmonat/0/$7C7AG$T.html

Ins Netz gegangen - Die Literatur im Zeitalter ihrer Digitalisierung
Man glaubt sich angesichts der terminologischen Vielfältigkeit in die Zukunft versetzt. Indessen ist die Fülle der Begriffe und deren semantische Unschärfe zunächst ein deutliches Indiz für einen wachsend demokratischeren Umgang mit dem Phänomen "Literatur". Netz-Literatur hat sich als behelfsmässiger Gattungsbegriff eingebürgert. Was aber darunter zu verstehen sei, was ihr zugerechnet werden soll, ob sich damit ein neues literarisches Genre herausbilde: Darauf soll es keine definitiven Antworten geben, weil die Fragen kaum richtig oder angemessen formuliert werden können.


Netz-Literatur ist Hyperfiction und Interfiction, multilineares und multimediales Erzählen, wahlweise ist es auch interaktiv und intermedial; ein kollaborativer Hypertext. Die Angefressenen unter den literarischen Netz-Surfern arbeiten bereits an einem work in progress sui generis mit. Es gibt unter den Netz-Literaten eine Fraktion, die das Internet schlechthin zu Literatur erklären will; dieser Auffassung widersprechen jene, welche die digitale Literatur der konzeptionellen Kunst zuschlagen möchten.

Was soll man von der digitalen literarischen Revolution halten? Wo funktioniert die Netz-Literatur anders als das Buch, was ist ihre Ästhetik? Und revolutioniert sie tatsächlich den Literaturbegriff, wie einige ihre Vertreter betonen? Eine Gesprächsrunde unter der Leitung von Roberto Simanowski - Herausgeber des Netz-Journals "Dichtung Digital" - diskutierte am vergangenen Wochenende im Rahmen des Literaturfestivals Literarische Ostern Luzern die Eigenheiten des digitalen Erzählens. Begleitet von einer Präsentation konkreter Projekte im Netz, wurde eine Standortbestimmung versucht, die eindrücklich die Heterogenität der kursierenden Konzeptionen vor Augen führte.

Das von Leslie Huppert und Fevzi Konuk in Luzern vorgestellte Konzept eines virtuellen Industriemuseums in einer stillgelegten saarländischen Kohlenmine hat auf den ersten Blick mit Literatur auch im weitesten Sinn nichts, mit konzeptioneller Kunst einiges zu tun: Gezeigt wurden Grafiken und bewegte Bilder. Wer das Konzept kennenlernen möchte, muss sich ins Netz begeben > www.the-virtual-mine.net.

Wesentlich näher an die traditionelle Literatur heran führte der in Berlin arbeitende Florian Cramer, der für seine Site > www.userpage.fu-berlin.de/~cantsin potente Permutationsmaschinen entwickelt hat. Die Beispiele der von ihm vorgeführten "kombinatorischen Dichtung" - ein nach Tristan Tzaras Anleitung "Pour faire un poème dadaïste" geschaffenes Gedicht oder eine rekombinierte Version von "Finnegans Wake" - stellen keine genuin kreativen Leistungen der Digitaltechnik dar, sondern bedienen sich der Rechenkapazität des Computers. Cramer zeigte, dass der poetische Reiz der permutativen Kombinatorik von Raimundus Lullus bis Tristan Tzara nicht nur in deren Anweisungen sondern durchaus in der allen zugänglichen praktischen Anwendung liegt.

Was digitales Erzählen sein kann, vermittelte der amerikanische Autor Mark Amerika. Aus Furcht, ein Epigone nichtlinearen Erzählens der fünfziger und sechziger Jahre zu werden, sei er mit seinem dritten Buchprojekt ins Netz gegangen. Wer sich einen Weg durch seine weitverzweigte Hypertext-Struktur "Abe Golam" > www.grammatron.com sucht und sich erstmals im Textlabyrinth zu verlieren meint, wird versucht sein, Florian Cramers ironische, in einem anderen Zusammenhang geäusserte Ansicht zu teilen: "Literatur im Netz ist eine Zumutung." Das gilt für Roman-Projekte wie dieses, das sich die Besonderheiten des Internets ganz zu eigen macht, sehr viel ausgeprägter als für jene weitaus unterhaltsameren Netz-Arbeiten, die animierte visuelle Poesie bieten.

Die Fragen nach der Autorschaft oder nach dem Werkbegriff stellen sich bei einer Arbeit wie "Abe Golam" in ganz anderer Radikalität als bei allen übrigen Spielformen der Netz-Literatur, Florian Cramers kombinatorische Dichtung eingeschlossen. Mark Amerika spricht denn auch von einem "kollaborativen Werk", das erst unter Mitarbeit des Benutzers entsteht und durch Benutzung fortentwickelt wird. Dem Künstler falle in diesem Wechselspiel die Aufgabe eines "network conductor" zu, was Mark Amerika keineswegs als Herabsetzung betrachtet. Mit dem von Roland Barthes und Michel Foucault einst in die Welt gesetzten Gerücht vom Tod des Autors hat dies nur wenig zu tun. Es sind die Produktions- wie die Rezeptionspraxis, die sich verändern. Der Autor wird zum Katalysator. Ob und wie unter diesen Bedingungen eine produktive Diskussion gesellschaftlich relevanter Fragen gelingen kann, ist bei solchen Konzeptionen die Kernfrage.

Mark Amerika geht indes noch einen Schritt weiter und trifft sich hier mit Florian Cramer. Der Autor werde im Netz, so Mark Amerika, auch zum Programmierer, und programmieren werde so - immer im Netz - ein Synonym für dichten. Sowohl Cramer wie Amerika glauben das entscheidende distinktive Merkmal der digitalen Literatur in ihrer dualen Verfasstheit entdeckt zu haben: Netz-Arbeiten bestehen einerseits aus einer sichtbaren Oberflächenästhetik und anderseits aus dem verborgenen Programm-Code. Diese konstitutionelle Voraussetzung müsse die digitale Literatur reflektieren, damit müsse sie spielen.

So haben also Netz-Literaten im Vergleich zu den nur mit Papier beschäftigten Autoren ein zusätzliches Ausdrucksmittel. Die Dualität von verborgenem und sichtbarem Text lässt sich nicht einfach in die geläufige binäre Struktur von Signifikant und Signifikat übersetzen. Während also ein sozusagen noch analog arbeitender Schriftsteller immer nur an einem, dem sichtbaren Text schreibt, um hier Unsichtbares, Unerhörtes, jedenfalls eine über das geschriebene Wort hinausgehende Sinnlichkeit zu evozieren, schreibt der digitale Autor immer an zwei Texten - so entsteht Realität und eine Auseinandersetzung mit der Realität nicht nur vor unserem inneren Auge. Als Autor und Leser sind wir nicht einfach der literarischen Schöngeistigkeit verpflichtet, sondern wir sind auch immer agierende und reagierende Menschen in einem sozialen Kontext. Und macht nicht gerade das das Wesen der Literatur aus?

Nomar Ilechub - NeZZ, Ressort Feuilleton, 20. April 2001, Nr.91, Seite 61

Wer die Protokolle per E-Mail erhalten will, soll mir die Adresse schicken > alilum@bluewin.ch. Und wer die Protokolle überhaupt nicht mehr erhalten will, soll mir das doch auch mitteilen. Liebe Grüsse Adi

Nächstes Treffen: Freitag, 18. Mai 01, um 19 Uhr, Gartenweg 6, Ebikon: die Zukunft des Schreibens (mit Brian Mudal).

Digitale Literatur ist eine junge Literaturform, die nicht mehr 'nur' auf die Kraft des Wortes baut. Andere Medien erweitern seine Ausdrucks-möglichkeiten. Interaktive Elemente spielen eine wichtige Rolle. - Brian Mudal stellt eine neue literarische Landschaft vor. Eine halbe Stunde lang klickt er sich mit Compi und Beam durch eine Auswahl von spannenden Projekten der Netz-Literatur.

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