Gemeinschaftsbildung im Internet

von Christoph Müller

 

<Abstract>

Das Internet macht einsam, lautet ein Gemeinplatz, der von Medienkritikern gerne geäussert wird, wo es um den Gebrauch dieses Mediums geht. Stimmt diese Ansicht. Aufschluss darüber können - zumindest ansatzweise - „egozentrierte Netzwerkanalysen“ geben. Sie befragen Chat- und Newsgroup-User nach ihrem Beziehungsnetz, online wie offline.

Eine kohärente Definition der Kommunikationsbeziehungen im Internet, der „Community“, gibt es kaum. Bedingung formuliert werden die Dauer über längere Zeit hinweg, die Gemeinsamkeit an Werten und Normen sowie die Abgrenzung gegenüber aussen. Wie nun diese Beziehungen ablaufen, lässt sich anhand von textbasierten Newsgroups und Chatgroups untersuchen: User loggen sich in eine Interessengruppe ein, um virtuell, online und über die Tastatur mit Gleichgesinnten zu diskutieren. Oft dienen Chatgroups lediglich der spielerischen Anmache, es gibt aber auch Chats, in denen sich über längere Zeiträume hinweg eine Gruppe von Menschen begegnet und sich eine gewisse Intimität zwischen ihnen herausbildet. Dass Anonymität möglich ist, muss dem nicht widersprechen.

Die Auswertung der persönlichen Datenblätter ergibt, dass mehrheitlich User zwischen 16 und 25 an solchen Chats teilnehmen. Dabei überwiegen die Männer bei weitem. Als Defizit gegenüber direkter Kommunikation wird angegeben, dass durch die räumliche Trennung öfters Missverständnisse entstehen, die Hemmschwelle heruntergesetzt sei und zugleich die Möglichkeit grösser, sich zu entziehen. Als positiv gewertet wird das kreative Potenzial, das sich in der Ausprägung einer eigenen, effizienten Sprache ausdrückt, dazu der leichte Zugang für alle User, gerade auch solchen mit körperlichen Gebresten, sowie auch die Möglichkeit zum spielerischen Erpoben von Lebensmöglichkeiten: Stichwort Coming out.
Das parallele Nebeneinander von diversen Diskussionssträngen macht es aber nicht immer einfach, dem Gespräch als Gesamtes und dem eigenen Diskussionsstrang zu folgen. Inhaltliche Banalität ist nicht selten die Folge.

Die Netzwerkanalyse des allerdings sehr eingeschränkten Samples ergibt, dass Online-Bekanntschaften in der Hälfte der Fälle auch offline funktionieren, meist hergestellt über den Online-Kanal. Das Finden von Bekanntschaften ist eine Motivation zur Teilnahme.
Trotz der Spielmöglichkeit präsentieren sich die meisten User mit einer konsistenten Persönlichkeit, eher idealisiert und unter Pseudonym, doch eher selten in gänzlich fiktiver Gestalt.
Trotz der Globalität des Netzes werden Chats eher lokal genutzt, wobei hier das Schweizerdeutsch eine Rolle spielt. Vor allem aber sind es eher gut integrierte Personen (Vereinsmitglieder, berufstätig &c.), die sich an Chats beteiligen; es ist dies ein Kanal unter anderen.

Bei den Newsgroups verschieben sich diese Befunde in Richtung stärkerer Beteiligung von Männern und primär thematischem Interesse. Viele der Newsgroups haben einen seriösen Anstrich, sie sind sachbezogene Diskussionsforen - je stärker, je eingeschränkter das Sachgebiet.

Als Fazit lässt sich ziehen, dass es Gemeinschaften auf dem Internet gibt, die aber sehr häufig durch Offline-Kontakte bestärkt werden. Hier geschieht die Vertrauensbildung, die sich textbasiert und virtuell (also ohne Mimik, Gestik &c.) nur schwer herstellen lässt. Gemeinsame Werte, oftmals Musik, dienen als Kristallisationspunkt. Überraschenderweise hat sich im untersuchten Fall auch eine Server-Gemeinschaft ergeben. Die Chat-User fühlt sich ihrem Chat (Swix) verbunden: sie definierten sich als „Swixer“, dies ich auch ausserhalb treffen. Zugleich aber lässt sich gerade auch in diesem Fall nicht verhehlen, dass Kommunikation hier unter ökonomischen Aspekten spielt, also künstlich erzeugt und bei Laune gehalten wird. Bei einem Teil der User, eher solchen mit geringerer Präsenz, mag dies mitspielen. die Frage ist auch, wie lange sich dieser „Trend“ hält (vgl. Telefonchats zu Anfang der 90er Jahre). Doch die Einsamkeit ist nicht einfach Anlass bzw. Folge dieses Kommunikationskanals.

(bm)

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