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NAGA

Entspannt in die Barbarei

Dieser Text stammt aus Ditfurth, Jutta. "Entspannt in die Barbarei". Konkret Literatur Verlag; Hamburg: 1997. (p179-189) Entspannt in die Barbarei? Oder warum ein vereinzeltes, zynisches Leben kraftraubender ist als ein kämpferisches. zurück

Der Mensch hat ellenbogenstark, leistungsbereit, hemmungslos konkurrierend, erbgesund und hochzuchtbereit zu sein, verlangt Silvio Gesell. Der rassistische Sozialdarwinist sieht in den »schwarzen wimmelnden Arbeitermassen« und in minderwertigen Menschen aus »Fehlzucht« eine Gefahr. Er träumt vom brutalen »freien Spiel der Kräfte«, vom »natürlichen Gefühl völkischer Zusammengehörigkeit, vom völkischen Boden, zugeteilt nach Gebärfähigkeit, von profitablern Absatz bei niedrigen Zinsen und von durch keine Revolution bedrohtem Kapital in den sehr privaten Händen der "Tüchtigen«. Wäre das alles die verquaste Ansicht eines Einflußlosen, wen würde es kümmern?

Aber Gesell und seine Lehre sind, wie wir gesehen haben, mit ihrer antisemitischen und kapitalfreundlichen Wirtschaftsideologie Bezugspunkt für sehr unterschiedliche Leute: für rechte AnarchistInnen wie Klaus Schmitt und Bernd Kramer, Grüne wie Helmut Creutz und Georg Otto, EsoterikerInnen wie Margrit Kennedy und Franz Alt, den Ex-SA-Mann und »Ernährungspapst« Max Otto Bruker, für ehemalige Republikaner wie Bernhard Heldt vom Interforum Oranienburg und Nationalrevolutionäre wie Günter Bartsch und nicht zuletzt für etliche Künstlerlnnen und Kneipiers vom ach so oppositionellen Prenzlauer Berg in Berlin.

Allein am Beispiel Gesell sehen wir, wie sich vermeintlich unterschiedliche, teilweise verfeindete Zirkel in ihren Grundpositionen annähern. Von der Gesellschen Lehre führen in viele Richtungen Fäden zu anderen Knotenpunkten, die sich noch weiter verzweigen. Auf solche Weise entsteht, was auch an vielen anderen Beispielen gezeigt werden könnte, ein esoterisch-ökofaschistisches Netz, das Teil eines noch größeren »neu«rechten Netzwerks ist, an dem nichts »neu«, aber manches neu maskiert ist. Natürlich ist das keine Verschwörung in großem Maßstab. Es reicht aus und ist sogar wirksamer, daß die verschiedenen esoterischen, ökofaschlstischen und biozentristischen Strömungen aus objektiven Gründen zusammenwachsen, denn sie haben die gleiche gesellschaftliche Funktion.

Opfer dieses Netzwerks sind die Menschen. Sie werden gehaßt, bewertet, selektiert und diskriminiert, außer sie gehören zu denen, die sich selbst als »Eliten« sehen. Der Mensch, drohen die neuen AntihumanistInnen, ist ein »Krebsgeschwür« auf der »lebendigen«, von ihnen vergöttlichten Erde. Wenn das »Menschengeschlecht« die »Warnsignale gegen die Eingriffe in die Schöpfungsgesetze« ignoriert, »wird der fortschrittliche Teil der Menschheit in einem Akt ausgleichender Gerechtigkeit, insbesondere durch Krebs, liquidiert«, sagt Max Otto Bruker, der - wie die chronische Eso-Mitläufrin Barbara Rütting - Krankheit für Sünde hält. Andere halten es da eher mit AIDS (Earth First) oder mit der Atombombe (Herbert Gruhl). Daß der Kranke selbst schuld an seiner Krankheit ist, macht auch die vereinten SozialabbauerInnen aller Fraktionen vor Freude besoffen: Warum soll, wer selbst die Schuld an seiner Krankheit trägt, auch noch soziale Leistungen fordern dürfen?

Und nun - wir sind doch alle für »die Umwelt« - bieten da auch noch welche »ökologische« Rechtfertigungen für antisoziale, Menschen ins Elend treibende politische Entscheidungen an. Ist das nicht praktisch?

Was sich über dieses Netzwerk aufbaut, ist ein gewalttätiges Potential gegen einen großen Teil der Menschheit. In den kapitalistischen Zentren sind Millionen Menschen - neben anderem - von der Demontage erkämpfter sozialer Leistungen betroffen, die im Trikont (in der dritten Welt) nicht einmal in Ansätzen vorhanden sind. Die medizinische Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland fällt klassenspezifisch auf Vorkriegsniveau zurück.

Auf die Mehrheit der Menschen im Trikont zielen, neben Armut, Hunger und Seuchen, erpresserische bevölkerungspolitische Zwangsmaßnahmen. Sie werden zu diesem Zweck seit Jahren als »Überbevölkerung« stigmatisiert. Mit selbstbestimmter »Familienplanung« und Kritik am Antifeminismus des Papstes hat dies nichts, mit Rassismus um so mehr zu tun. Von einer aus ökologischen Gründen empfohlenen Massenselbsttötung von Deutschen in Deutschland oder einer gesamtgesellschaftlichen Zwangssterilisation habe ich bis heute jedenfalls noch nichts gehört. Zwangssterilisiert werden in Deutschland, in faschistischer Tradition, unter bestimmten Voraussetzungen Behinderte. - Auch von einem entsprechenden EU- Beschluß zur Dezimierung der europäischen Bevölkerung ist mir trotz des "überfüllten" Kontinents noch nichts zu Ohren gekommen. Der Mensch ist offensichtlich nicht überall auf die gleiche Weise parasitär. Manche Menschen sind ärmer, und ihre Haut ist dunkler. Dann sind sie leicht »zuviel«.

Eigentlich hat sich der Rassenhygieniker Konrad Lorenz mit seinen Empfehlungen bereits durchgesetzt: AIDS, die »Geißel Gottes«, dezimiert aufgrund der elenden Lebensverhältnisse besonders die Menschen in vielen Teilen Afrikas. Die kapitalistische Welt schaut zu. In den Beobachtungen des afrikanischen Massensterbens schimmert durch: Die sind ohnehin zu viele, laßt sie sterben. Mensch stelle sich bloß einmal vor, dieses entsetzliche Massensterben fände zwischen Berlin und München statt oder in den USA: Alle Welt sähe sich aufgefordert, die letzten Goldreserven und Sparbücher zu opfern, um Menschenleben zu retten. Fernsehshows und Krisengipfel, Hygienearmeen und Tombolas: fast nichts wäre dem »weißen« Mittelschichtsangehörigen für seinesgleichen zu teuer. Aber es geht um Afrika, und die meisten BewohnerInnen der kapitalistischen Zentren, und darin Europas und der BRD, haben eine latente oder brutale - rassistische Einstellung gegenüber Menschen aus diesem Teil der Welt. Deshalb fällt nicht auf, daß die neu versprochenen Wunderdrogen gegen Aids von den meisten Aids-Kranken in Afrika nicht zu bezahlen sind.

Um den »Parasiten« Mensch abzustrafen, kommen Pest und Cholera über uns: Krebs, (Öko)Diktatur und das sich sanft gebärdende autoritäre Regime esoterischer Eliten. Das Bild vom Menschen als »Parasit« und »Krebsgeschwür« erlaubt, mit ihm umzugehen wie mit einer tödlichen Krankheit oder einem »Schädling« - eine Morddrohung mit »ökologischem« Alibi. Wenn die "Erde zuerst" kommt, sind logischerweise Mord, Massenmord oder sogar Krieg aus ökologischen Gründen erlaubt.

Die Natur, nichts als die erste Natur, ist das Vorbild für den »natürlichen« Menschen, sagen alle, die dem Menschen sein soziales Wesen, seine zweite Natur, austreiben wollen. Damit bereiten sie, ob bewußt oder unbewußt, dem Kapital den Weg und werfen dafür die spärlichen Erfolge bürgerlicher Revolutionen und sozialer Kämpfe - an sozialrevolutionäre ist in Deutschland bis heute nicht zu denken - in die getrennte Müllsammlung.

Der Mensch soll ganz auf seine erste Natur zurückfallen. Solidarität und kollektives Handeln gelten nicht als »naturnah«, sondern als unnatürlich, als ekliger Zwang und Lustbeschränkung. Alles zu Entscheidende wird Göttern und Gurus übertragen, der mystifizierten Natur oder einem geheimnisvollen »Selbst« irgendwo im Innern, wo einer lange suchen kann. Der nicht mehr selbstverantwortliche Mensch verstärkt die herrschenden Ausbeutungsverhältnisse, in welche Richtung auch immer sich diese entwickeln - als Täter, Opportunist oder wehrloses Opfer.

Höhere Mächte, (Natur-)Geister, Götter oder der Kosmos herrschen über dich, sagen die EsoterikerInnen. Ihre Selbstdarstellung in Broschüren und Zeitschriften erregt Übelkeit. Sie müssen »positives Denken« demonstrieren und knipsen eine Art Dauergrinsen an. Ihre Werte sind befreiungsfeindlich: Harmonie mit dem Kapital, das innere Selbst für den Egokult, die tiefen Geheimnisse der Schöpfung/Erde/Natur als Absage an jede Emanzipation und Rationalität.

Die Natur determiniert den Menschen, behaupten die Ökofaschisten. Sie biologisieren alle sozialen Beziehungen und legen den Menschen auf seine Gene fest, auf sein Geschlecht, seine angebliche »Rasse«, seine »natürliche« Klassenzugehörigkeit. Herrschaft ist ökologisch und gottgegeben. Es ist vollkommen egal, was EsoterikerInnen, ÖkofaschistInnen, BiozentristInnen zu tun und planen behaupten. Tatsache ist, diese neuen Antihumanen leugnen, was menschlich ist: das soziale Wesen des Menschen und seine Entfaltung als wirklich sozial gleich und frei. Die Antihumanen bestreiten, daß der politische Kampf gegen die herrschenden patriarchal-kapitalistischen Verhältnisse notwendig ist. Weil das materielle Sein selbst das Bewußtsein der Esoterikerlnnen bestimmt, wundert es nicht, unter ihnen so viele ehrgeizige, verunsicherte, gierige, von Panik gebeutelte, sich selbst verblödende, antisoziale Angehörige der Mittelschicht zu finden.

Das Gemeinsame von Esoterik, der »neuen« Rechten und allen Spielarten des Ökofaschismus finden wir, wenn wir ihre Verkleidungen und Erscheinungsweisen abschälen und ihre Rituale und Ideologien auf ihren Kern zurückführen. Ist es - auf lange Sicht - für die laufende Entwertung von Menschen von großer Bedeutung, ob einer für die »Euthanasie« von »wertlosen« Menschen ist und ein anderer »nur« für die Gleichsetzung von Menschen mit Kakerlaken? Was in einer kapitalistischen Gesellschaft aus einem solchen Entwertungsangebot wird, entscheiden ohnehin weder Peter Singer noch Earth First.

Wir beobachten seit einiger Zeit einen Prozeß des Zusammenwachsens von rechten Ideologiesystemen zu scheinbar neuen Konglomeraten. Der Biozentrismus gibt vor, in der Hippiekultur der sechziger Jahre vom Himmel gefallen zu sein, und hat sich mit dem älteren, die Pionierzeit idealisierenden Wildniskult verbindet. Aber der Biozentrismus hat seine Wurzeln in den germanischen Ideologien des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und hat sich lediglich freakig, ökologisch-alternativ aufgepeppt. Das »Wir sind was gaanz Neues!«-Gequaake gehört zum PR-Geschäft. Nichts an den neuen Antihumanen ist wirklich neu, außer dem Internet-Anschluß.

Die Szenen scheinen diffus, Orientierungen undeutlich, Ideologieträger idiotisch. Aber in allen Teilbereichen gibt es FührerInnen, die genau wissen, wohin sie wollen. Einige wurden deshalb in diesem Buch vorgestellt. Sie schulen, organisieren, finanzieren. Da wächst eine modernisierte, biologistisch orientierte Massenbasis zusammen. Diese FührerInnen wirken in verschiedene Szenen hinein, um zu politisieren. Besonders liegen ihnen gesellschaftliche Strömungen, in denen mit dem Bauch gedacht wird. Die neuen rechten Gurus wirken in alte rechtsextreme Szenen, um diese zu modernisieren. In der antihumanistischen Propaganda wird aus altbekanntem Rassismus seine veredelte Form, der Ethnopluralismus. Aus dem mancherorts kritisierten Biologismus wird - in der PR - der Bio- oder Ökozentrismus, mit dessen mikrobischem Gleichheitsbegriff der Mensch »vor die Hunde« geht.

Neben all den Folgen des Zusammenbruchs des RGW hat mich am meisten verblüfft, wie viele erprobte Linke in Westeuropa ohne den großen Bruder im Osten nicht mehr stehen konnten. Der Verlust der Systemkonkurrenz - die real nie eine war, weil auch die Sowjetunion keine sozialistische Gesellschaft wurde, sondern eine bürokratische Kommandowirtschaft - bewirkte nicht nur den Verlust einer Reibung, von der die sozialen Befreiungsbewegungen des Trikont profitiert hatten. Er produzierte im Westen auch ein grenzenloses Maß an Selbstmitleid und Hoffnungsverlust bei Linken und potentiellen Linken.

Materielle Ängste, Sicherheitsängste und Orientierungsverlust wirken zusammen und erfahren eine spezifisch deutsche Ausprägung. Die ist nichts Genetisches, sondern Ausfluß einer jahrhundertealten soziokulturellen Prägung der Deutschen: geboren aus gescheiterten bürgerlich-demokratischen Revolutionen, aus dem germanischen Nationalismus, aus der Erfahrung von Größenwahn und Niederlage im Ersten Weltkrieg, die nationalistisch gewendet wurde, aus dem erneuten Scheitern einer Revolution und der Zerschlagung der Soldaten- und Arbeiterräte (1918/1919) durch das Bündnis von nationalradikalen Freikorps und nationalgläubigen SozialdemokratInnen, aus der Erfahrung des Faschismus und der Volksgemeinschaft, aus welchen sich die Deutschen nicht selbst befreiten, weil sie in ihrer Mehrheit beide stützten.

Nach der deutschen Wiedervereinigung und dem neu enthemmten Nationalismus gibt es wieder eingebildete und wirkliche Krisen, wieder keine militante kollektive Abwehr des Angriffes auf eroberte soziale und bürgerlich-demokratische Rechte, wieder die Angst von großen Teilen der Mittelschicht vor dem sozialen Abstieg. Und erneut die reflexartige Bereitschaft, nach unten zu treten, statt nach oben zu kämpfen. Während ein Teil des Bürgertums aufgibt und damit den nächsten Kampf um ein wenig bürgerliche Liberalität gleich auch verliert, öffnen sich große Teile des Bürgertums nach rechts. Sie entdecken Nationalismus und deutsche Mythen und finden endlich ihr »Selbst«: ein germanisch-esoterisches Schreckgespenst mit furchtbarer Geschichte. In ihren Köpfen finden sich die alten esoterischen, rechtsextremen und faschistischen Volksgemeinschaftskonzepte und feiern mit den neuen Erscheinungsformen des Antihumanismus Brüderschaft.

Und wieder entspricht diese Entwicklung den Interessen verschiedener Kapitalfraktionen. Der biozentristischen Entwertung des Menschen haben Entsolidarisierung und Hoffnungslosigkeit den Weg autobahnbreit geebnet. Bürgerliche Aufklärung und kritische Vernunft, die ich mich zu verteidigen genötigt sehe, bevor mir als Linker der Boden für Weiterreichendes völlig unter den Füßen weggehauen wird, werden gnadenlos bekämpft. Begriffe werden so hastig umdefiniert, daß es einer beim Zusehen schwindelt. Die neue »Vernunft« und die »utilitaristische Rationalität« sind nicht etwa die Befreiung des Menschen von Irrationalität und Feudalherrschaft, sondern meint die Tötung von als minderwertig diskriminierten Menschen. Die mörderische neue Rationalität verlangt eine pseudorationale und pseudowissenschaftliche Basis. Es ist »vernünftig«, für das (angebliche) Glück aller einen behinderten Säugling zu töten. Es ist »vernünftig«, großen Menschengruppen die Ausrottung anzudrohen, wenn sie »zu viele werden« oder vor lauter Hunger Natur vernichten.

Nach der Auseinandersetzung mit den Personen und Gruppen in diesem Buch finde ich die politische Lage noch bedrohlicher, als ich in meiner Ausgangshypothese für dieses Buch annahm. Als ich die Berge von Informationsmaterial durchforstete, fand ich noch mehr personelle und ideologische Verbindungen, als ich erwartet hatte. Um die rechten und faschistischen Gurus haben sich Massen von Menschen geschart, die früher fortschrittliche Positionen vertraten. Heute emanzipieren sie sich von ihrem Verstand und verblöden in rituellen Zuckungen. Ein solcher Zustand ist typisch für das Bewußtsein großer Teile der Mittelschichten in den kapitalistischen Zentren, die sich dann, wie wir zum Beispiel beim »Dalai Lama« gesehen haben, auch auf Herrschaftsideologien im Trikont berufen können.

Die Entwicklung in Deutschland hat spezifische Eigenheiten: Eine allzu kurze Zeit lang hatte ein Teil der Linken begriffen, daß die ökologische Frage nicht von der sozialen Frage zu trennen ist. Heute sind die meisten hinter diesen Erkenntnisstand zurückgefallen und trennen wieder, was nicht zu trennen ist. Die Anpassung der Grünen an rechte Ideen gilt als Beleg für denn grundsätzlich kleinbürgerlichen und emanzipationsfeindlichen Charakter der Ökologie. Linker Druck auf die Ökologiebewegung fehlt fast völlig. Wir finden Lobbyismus in Brüssel statt organisiertem bundesweiten Widerstand von unten, Ökosteuer-Entlastung für das Kapital statt antikapitalistischem Widerstand gegen den Klassenkampf von oben und gegen die weltweiten Zerstörungsorgien durch die neuen Verwertungsstrategien und -techniken des Kapitals.

Zum anderen gehört es zur spezifisch deutschen Situation, daß bürgerliche Ökoszenen schnell an deutsche Traditionen des Naturalismus und des Nationalismus anknüpfen. Die Bilder und Symbole haben überlebt. Eine deutsche Bioregion am Rhein oder im Teutoburger Wald ist aber keine nette große Ökowohngemeinschaft, sondern ein agressiver, germanenmythischer, rassistischer Sau(!)haufen. Die Rückführung dieses Teils des Bürgertums, zu dem große Teile vormaliger Opposition gehören, zu den Vorläuferideologien des NS-Faschismus, verläuft schneller, als ich angenommen habe. Die Spielarten des Biozentrismus sind tiefer in den Traditionen des Deutschen und des "Dritten" Reichs verwurzelt, als die biozentristische Szene auch nur ahnen will. Wieder wird eine fortschrittliche, emanzipatorische soziale Utopie aufgegeben, wieder die oder jene Krise nicht ausgehalten, wieder ersetzt Romantizismus soziale Emanzipation und politischen Widerstand.

Altlinke waschen sich zwanghaft von alten Fehlern frei und entdecken ihr Herz für neoliberale Dogmen wie das Recht des wirtschaftlich Stärkeren oder das Lohn-Leistungs-Prinzip. Sie schützen jede Kultur, sei sie noch so herrschend und repressiv. Indianische Kultur ist per se gut. Das Yin und Yang des chinesischen Patriarchats auch. Der tibetische lamaistische Feudalismus ist eine zu schätzende aussterbende Volksart - was zählt schon das Individuum?

Wo ein linker, emanzipatorischer Begiff vom Individuum die allseitige Entfaltung der sozialen Natur des Menschen und die eines solidarischen Gemeinwesens will, setzen die Rechten auf den terroristischen, vollständig unfreien Charakter einer völkischen Gemeinschaft, in der nur irgendwelchen Eliten besondere individuelle Rechte zustehen. Der Rest hat in den - menschengesetzten und interessegeleiteten - höheren kosmischen Zielen und Zwecken die eigene Individualität zu ersäufen.

Universelle Werte wie soziale und demokratische Menschenrechte werden aufgegeben. Für gesellschaftliche Verhältnisse zu kämpfen, in denen alle Menschen wirkliche Selbstbestimmung genießen könnten, gilt als öbszön: nicht fun, nicht party, zuviel Streß. Früher krallte sich die Hitlerjugend die Millionen Menschen starke Jugendbewegung. Heute wird die Jugendbewegung in der Werbeabteilung von Zigaretten- oder Bierfirmen erfunden.

Die innere Triebkraft des Kapitalismus heißt Profit. Das geben die Klügeren unter den Managern souverän zu. Ehemalige Linke bekommen bei diesem Eingeständnis oft Durchfall und kreischen: »Marktwirtschaft!« oder »soziale und ökologische Marktwirtschaft! « oder »Industriegesellschaft! «, und sie reden von »Kapitalismus zähmen!« und träumen von »immanenten Reformen!«.

Der Kapitalismus geht, wenn für seine Interessen erforderlich, traditionsgemäß schon im Normalbetrieb über Leichen. Kapitalismus bedeutet, daß sich das Kapital die optimalen Verwertungsbedingungen sucht. Verwertet werden die beiden einzigen »Springquellen des Reichtums« (Karl Marx), die menschliche Arbeitskraft und natürliche Ressourcen. Augenblicklich wird eine Art kombinierte Springquelle neu entwickelt. Das biologische Potential des zuvor rechtzeitig entwerteten Menschen steht zur Ausbeutung an. Zellen, Gene, biologische Stoffwechselfunktionen, die menschliche Fortpflanzung, Keimbahnmanipulationen und Menschenzucht: das erklärte Ziel einer Reihe von nobelpreistragenden Gentechnokraten.

Wie enthemmt diese kapitalistische Verwertung geschieht, hängt vom Stand der sozialen Auseinandersetzungen ab. Der Kapitalismus bleibt letztlich - im humanen Sinn - unreformierbar. Ihn treibt der Zwang zur Kapitalvermehrung und -verwertung, dies ist sein Wesen, seine innere Logik, die sich einer strukturellen Reform sperrt. Eine Schutzzone hat der Kapitalismus für Mensch und Natur nicht, auch nicht das naiv behauptete "Eigeninteresse" des Kapitals an der Schonung der auszubeutenden Ressourcen Mensch und Natur. Dem Kapital geht nicht die Arbeit und nicht der Stoff aus: Es findet von allem Neues.

Die mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und der Destruktivkraft Gentechnik daherkommenden Umwälzungen von kapitalistischer Produktion und Produkten sind so revolutionär, daß die Gesellschaften von heute, mit ihren ethischen Grenzen, sozialgesetzlichen Lästigkeiten und erkämpften Menschenrechten den neuen Verwertungsplänen wie Mühlsteine im Weg liegen. Weg damit! Damit die einen mitmachen, die anderen es dulden und die dritten Opfer werden können, muß umgewertet werden, bis das bislang gültige diffuse, bürgerlich-demokratisch-humanistische Bild vom Menschen vollends diskreditiert ist. Der Prozeß kann nicht einfach ungeordnet-experimentell laufen. Er wird beispielsweise mit politischen Repressionen und bald totalitärer Überwachung abgesichert. Hoffen wir, daß die politische Vorstellungskraft linker Opposition auch für einen möglichen künftigen Technofaschismus ausreicht und nicht am äußerlichen Bild historischer Erscheinungsformen des Faschismus hängenbleibt.

Ob Ökofaschisten die Überzähligen atomar ausrotten wollen, ob »Euthanasie«-Prediger Menschen in wertvolle und wertlose sortieren und letztere zur Tötung freigeben, ob Bio- und Ökozentristen die Menschen insgesamt als Erdparasiten und auf gleicher Stufe mit Bakterien stehend betrachten, ob Sozialpolitiker »Sozialschmarotzer« geißeln: all dies wirkt zusammen bei der Entwertung des Menschen.

Dieser Prozeß ist in vollem Gang. Für die, die sich ihm in den Weg stellen wollen, ist vor allem anderen wichtig, wie in Zeiten der politischen Schwäche der Linken und deren massenhafter Abwanderung in dumpfen Reformismus, in Zynismus, in nationale Sozialpolitik (wie bei großen Teilen der PDS), in Ignoranz gegenüber antikapitalistischer Ökologie und Wissenschaftskritik ein Bündnis von einiger Qualität zustande kommen könnte? SPD und Grüne sind bald nach ihrer Gründung, von wenigen gutmeinenden einflußlosen Basisfiguren abgesehen, der radikalen Linken abhanden gekommen und heute im wesentlichen zu Vollzugsparteien für Kapitalinteressen degeneriert, kleinere Widersprüche eingeschlossen. Während sich Rosagrüne allmählich vollständig der (deutsch)nationalen Identität des kapitalistischen Wirtschaftsstandortes unterwerfen, befinden sich andere BürgerInnen esoterisch entspannt auf dem Weg in die Barbarei. Wer das alles nicht will, wer seine Vorstellungen von Emanzipation und Befreiung nicht verraten möchte, wird auf verlogene Selbstzweckbündnisse ohne wirklich inhaltliche Basis verzichten und bereit sein müssen, neue linke Bündnisse zu schmieden, um die Idee von Freiheit und sozialer Gleichheit und die Einzigartigkeit des Menschen zu verteidigen. Es gibt noch kein einziges politisches Bündnis der bundesdeutschen Linken - von internationalen Zusammenhängen ganz zu schweigen -, das auf den neuen umfassenden Angriff des Kapitals vorbereitet ist. - Wie diese Aufgaben zum gemeinsamen Thema machen? Wie klarmachen, auf welche Weise die neuen kapitalistischen Raubzüge von der kollektiven Regression einer Gesellschaft begünstigt oder sogar erst ermöglicht werden? Wie einer Linken mit lädierten Selbstbewußtsein und starker Neigung zum Lamento beibringen, daß Harmonie dumm macht, qualifizierte Kritik und Auseinandersetzung aber klüger? Daß ein vereinzeltes, zynisches Leben kraftraubender ist als ein kämpferisches? Daß es keine linke Politik mit Erfolgsgarantie gibt? Daß die Linke ohne radikale kritische Auseinandersetzung nicht stärker wird, sondern dümmer? Daß es für den antikapitalistischen Kampf keines Kraftverschleißes für eine detaillierte Gesellschaftsutopie bedarf, sondern daß Eckpunkte einer sozialen Utopie ausreichen? Ernst Bloch sagt: »Das ungeheure utopische Vorkommen in der Welt ist explizit fast unerhellt. Von allen Seltsamkeiten des Nichtwissens ist dies eine der auffälligsten.« Erhellen wir also einige Elemente des »ungeheuren utopischen Vorkommens«: soziale Gleichheit, individuelle Freiheit und Selbstbestimmung, Befreiung von Ausbeutung, Patriarchat und von jeder Form der Herrschaft von Menschen über Menschen, Beendigung der Vernichtung der ökologischen Grundlagen sozialen Lebens ... Wenn die Zeit für emanzipatorische Erfolge heute wirklich ungünstig ist, bleibt immerhin Gelegenheit, eine künftige Opposition gegen die allseitige Entwertung des Menschen vorzubereiten: mit Kritik und Theorie, mit politischer Aktion und mit der Bereitschaft zur verbindlichen Organisierung gegen den alten und neuen Kult der Unverbindlichkeit.

LINKS:

Ein weiteres Kapitel aus dem Buch >http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/kritik/ditfurth/kap4.htm

Buchkritiken von Tierrechlerseite >http://maqi.de/txt/ditfurth.html ,

http://www.projektwerkstatt.de/tierschutz/0397barb.htm

Buchkritik der "Antifaschistischen Nachrichten" > http://www.infolinks.de/medien/an/1997/02/002.htm



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