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SALON HERDSCHWAND

Über Mittel und Wege - Lebensmittel zur Diskussion gestellt

Erich Mühsam: Es muss ein Sandkorn in meiner Posaune sein

Am 2. Juni hatten wir im 5B Full House. Das Theater Nina spielte ihr neues Stück über den Bohemien und Anarchisten Erich Mühsam. An Stelle eines Protokolles schicken wir euch eine besonders gelungene Szene aus dem Stück. Erich Mühsam trifft sich mit seinem Bruder bei Königsberger Klops und verhandeln die Rolle des Künstlers oder der Künstlerin in der Gesellschaft. Der Text stammt von Erich Mühsam. Fürs Theater arrangiert hat ihn Ueli Blum, welcher fürs Stück auch Regie geführt hat.

Erich Mühsam: Vom Wirken des Künstlers - Ein Gespräch bei Königsberger Klops

Erich: Nichts bietet eine solidere Grundlage für streitbare Unterhaltungen als ein gut bereitetes Mittagessen. Die heterogensten Gedankengänge wachsen aus einem gemeinsamen Boden heraus, und die gleichzeitige Betätigung gern bewegter Muskeln balanciert wohlwollend die seelischen Emotionen der Streitenden. Die Diskussion, die die folgende Betrachtungen erweckte, fand bei Königsberger Klopse statt. Schon bei der Suppe hatte mein Bruder, der ein wissenschaftlich ernst fundierter Arzt ist, ironisch bemerkt, dass ich in meiner üblen Angewohnheit zu dichten doch eigentlich eine recht verfehlte Lebenstendenz verfolge. Die Klöpse wurden von meiner Schwägerin aufgetragen. So erklärte ich einfach, dass ich ausser der geringen finanziellen Ausbeute nichts wüsste, was mich diese Gewohnheit, als eine üble erkennen liesse, zumal ich Grund zu der Annahme hätte, dass meine Produktion für die deutsche Literatur von beträchtlichem Wert sei.

Erichs Bruder: Lieber Erich! Deine Gedichte in allen Ehren. Davon verstehe ich nichts. Aber ich bin überzeugt, dass Goethe gegen Dich ein eitler Stümper war. Aber sag mir doch bloss einmal: was hat eure ganze Dichterei überhaupt für einen Wert? Wem nützt ihr damit? Wo helft ihr mit euern schönsten Versen der Menschheit einen kleinsten Schritt weiter? Ihr Künstler seid doch wahrhaftig die zwecklosesten Leute, die auf der weiten Welt herumlaufen!

Erich: Na hör mal, Zweck einer Sache kann doch in sich selbst liegen. So ist es bei der Poesie und bei jeder Kunst. Damit soll der Menschheit nicht genützt werden? - Ach du lieber Himmel! Wo wäre die Menschheit, wenn es keine Künstler gäbe!

Erichs Bruder: So? Meinst du, ohne Shakespeare und Goethe und dich und Beethoven und Böcklin, und wie ihr alle heisst, meinst du, ohne euch hätten wir kein Telefon und keine Zigarren, und führen nicht im Automobil und im lenkbaren Luftballon?

Erich: Wann wärst Du schon im Lenkballon gefahren?

Erichs Bruder: Ei was! - Das ist doch kein Einwand! Die Wissenschaft schreitet mit riesigen Sätzen vorwärts. Täglich werden neue Verfahren entdeckt, um Krankheiten aus der Welt zu schaffen. Das nenne ich Wirken! Das heisst der Menschheit dienen und nützen! - aber was wisst ihr davon? - Kennst du den Namen Wassermanns?

Erich: Renate Fuchs und der nie geküsste Mund. Und die Juden von Zorndorf will ich bei Gelegenheit mal lesen.

Erichs Bruder: Wie? - Was? - Nie geküsste Juden? - Renate von Zorndorf? - Bist du rappelig? - Ach du redest wohl von einem Dichter? Mensch, ich spreche von Geheimrat Professor Doktor Wassermann, einem unserer berühmtesten Therapeutiker, der zuerst die Serumtherapie bei Lues angewandt hat. Von dem hast du nie was gehört?

Erich: Nein.

Erichs Bruder: Da sieht mans. Während die physiologische Wissenschaft die ungeheuersten Umwälzungen in allen sozialen, hygienischen und humanitären Verhältnissen herbeiführt, lauft ihr...

Erich: Also Goethe, Shakespeare, Beethoven Böcklin und ich.

Erichs Bruder: ...ihr lauft an einen dreckigen Bach und lasst euch vom Mond zu euren kolossalen Schöpfungen inspirieren. Und habt ihr nachher glücklich sechs Menschen gefunden, die sich das Zeug mit himmelnden Augen anhören, meint ihr, ihr wäret weiss was für Nummern! Redet von Kultur! Beweihräuchert euch gegenseitig, ich weiss nicht wie! - Sieh dir doch die Zeitungen an: über jeden obskuren Maler oder Dichter oder Musiker oder Schauspieler, der 60 Jahre alt wird oder stirbt oder seit 25 Jahren die Welt mit seinem Genie beglückt, spaltenlange Lobarien; aber von Professor Wassermann hat kein Mensch eine Ahnung!"

Erich: Na! Hast du denn , wenn du zum Beispiel ins Theater gehst und den Othello siehst, oder du hörst in der Philharmonie die Neunte Symphonie von Beethoven, oder du stehst im Kaiser-Friedrich-Museum vor "Jakobs Kampf mit dem Engel" von Rembrandt, oder du liest Goethes "Füllest wieder Busch und Tal" hast du denn nie eine innere Erhebung, fühlst Du dich dann nie grösser und freier und beglückt...

Erichs Bruder: Hör bloss auf. Du siehst ich ess Königsberger Klops, da kannst du nicht von mir verlangen, dass ich elegische Deklamationen anhören soll. Aber damit du weisst, wie ich über die Kunst denke, will ich dir doch ein Zugeständnis machen. Ich sehe mir zwar im Theater nicht Othello an, sondern höchstens mal den "Zigeunerbaron". Aber das gebe ich dir ohne weiteres zu, dass mich die Kunst immerhin mal amüsieren kann.

Erich: Aber die ernsthafte Kunst!

Erichs Bruder: Natürlich. Warum auch nicht die ernsthafte Kunst? Aber mehr als Amüsement kann ich der auch nicht abgewinnen. Und das ist ja auch gewiss etwas Gutes.

Erich: Aber amüsieren kannst Du dich doch auch ohne Kunst.

Erichs Bruder: Allerdings. Es macht mir auch gar keinen Unterschied, ob ich den "Zigeunerbaron" vorgespielt kriege oder die Neunte Symphonie, oder ob ich vom Fenster aus zusehe, wie sich draussen zwei Hunde beissen. Das Vergnügen dabei ist nur graduell unterschieden. Es werden allenfalls andere Muskeln tangiert.

Erich: Du bist ein Barbar!

Erichs Bruder: Möglich. Das ändert aber gar nichts an der Tatsache, dass die bei Lues angewandte Serumtherapie ein kulturell unendlich wertvolleres Ereignis ist als alle Werke deiner Berühmtesten Künstler zusammengenommen.

Erich:
Ich fühlte: Dagegen war nicht anzukommen. Ich kippte daher nur noch schnell den Kaffee herunter, liess mir von meinem Bruder eine Zigarre auf den Weg mitgeben, reichte meiner Schwägerin trübselig die Hand und schlug mich davon. Unterwegs hielt ich Selbstgespräche, in denen ich energisch meinen Bruder apostrophierte. Wir wirken aber doch! Erklärte ich ihm bei mir. Na ja - auf dich wirken wir nicht. Aber liegt das an uns? Ich behaupte die Welt wäre öde, stumpfsinnig, roh, perfid - nein, noch öder, stumpfsinniger, roher und perfider als sie jetzt schon ist, gäbe es keine Kunst und keine Künstler. Hundertausenden, Hundertmillionen geben wir Trost und Erhebung und Heilung und Hoffnung. Ist das gar nichts? Hä? - Und Wenn Du dabei nichts für dich herausholst, dann geht uns das so wenig an wie die Serumtherapie bei Lues. Schliesslich ist ja auch nicht jeder Mensch luetisch. Ich war froh, meinen Bruder dergestalt doch noch widerlegt zu haben. Dann wandte sich meine Betrachtung in innigem Behagen der Erinnerung an die Königsberger Klöpse zu, und meine Seele schwamm in Kapernsauce. Ausgesöhnt mit der Welt und zufrieden mit mir ging ich ins Cafehaus und dichtete meine Ballade "Meta und der Burschenschafter."


Wer die Protokolle per E-Mail erhalten will, soll mir die Adresse schicken > alilum@bluewin.ch. Und wer die Protokolle überhaupt nicht mehr erhalten will, soll mir das doch auch mitteilen.

Liebe Grüsse Adi und Judith.


Nächstes Treffen: Mittwoch, 10. August 05, um 19 Uhr, Herdschwandstr. 7, Emmenbrücke: Thema noch offen.

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Tel.: +41 41 440 56 09