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Salon am Gartenwegi

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NAGA

Nachtessen am Gartenweg: Tanz über die Spartengrenzen

Gast ist die Tänzerin, Choreografin und Videokünstlerin Heidi Köpfer (47). Ihre sechs Videos thematisieren Tanz, Musik und Raum. Sie selber arbeitet als Choreografin und Regisseurin, Produzentin ihrer Videos und auch als Tänzerin. Sie lebt in Basel und führt dort ein Tanzstudio.

Zunächst sehen wir uns die ersten drei Video-Arbeiten von Heidi an: "Motion", "Puzzle", "Mikado", Arbeiten, von denen zwei nicht nur den Namen von Spielen im Titel tragen: Sie muten die Runde recht verspielt und detailverliebt an. Hansruedi bezeichnet sie als Recherchen im Reich des Körpers, Heidi bestätigt: "Für mich ist das Forschungsarbeit."

Adi und Daniela gehen der Frage danach, wie ihre Tätigkeiten als Videokünstlerin, Choreographin und als Tänzerin sich gegenseitig überlappen oder beeinflussen. "Bei meiner Arbeit als Tanzlehrerin bereite ich Übungen vor, sehe meine Schülerinnen und Schüler tanzen und merke dann plötzlich: 'Das wäre eine Bewegung, die sich in mein Video, in eine Choreografie einbeziehen liesse." Sie habe zunächst mit dem Medium Fotografie gearbeitet. Mit der Videokamera habe sie dann gelernt, Bewegung festzuhalten. "Das hat wiederum meine Arbeit für die Bühne stark beeinflusst, weil mir plötzlich über räumliche Zusammenhänge viel klarer wurden." 1997 arbeitete sie erstmals auf der Bühne mit Projektionen, später kam ein Kameramann mit Gerät und Projektionen seiner Bilder auf der Bühne dazu. Diese Arbeit heisst "Record Rewind Play". Tanz filmen sei aber anders als der Tanz auf der Bühne zeigen: "Beim Filmen musst Du den Raum schaffen, damit das Bild nicht flach wird."

Adi fragt: "Wie wird ein solches Video ideal konsumiert? Im Kinoraum? Im Museum?" Heidi: "Im Prinzip geht's überall. Vorführkino ist zwar toll wegen der Grossleinwand, man hat aber bei den Farben und manchmal auch beim Ton einen Qualitätsverlust. Früher galt für das Medium Video ohnehin die Regel: Das geht nur für Monitor. Aber diese Zeiten sind vorbei. Auf grossen Festivals werden Videos heute meist auf Grossleinwand präsentiert. Eine Arbeit habe ich aber auch schon auf Monitor in einem Eisschrank gezeigt eine installative Präsentation im Museum." Sibylle fragt: "Aber Du zeigst sie am liebsten an Festivals?" Heidi verneint. "Ich zeige sie überall gern. An Festivals, am Fernsehen, früher waren sie auch öfter im Kunstkontext zu sehen."

"Nimmt die Tanzszene Deine Arbeiten wahr?" will Daniela wissen. "Mittlerweile schon", sagt Heidi. "Schliesslich deklariere ich meine Videos als Tanzvideos und habe mir damit einen Namen gemacht."

Adi konstatiert zunächst einmal, dass die Musik sehr illustrativ war. Sibylle fragt: "Hast Du auch schon Musik als Ausgangspunkt gehabt?" Heidi: Auf der Bühne, ja. Aber beim Video nehme ich die Vertonung nach dem Schneiden vor. Ich schätze diese Freiheit, den Tanz an erste Stelle zu setzen. Abgesehen davon weiss ich vor dem Schneiden noch gar nicht, wie das Video herauskommt. Rhythmus entsteht durch Atem, Bewegung, Regieanweisungen, durch meine Stimme, die den Tänzern Anweisungen gibt." Eine Aussage, die Adi zur Frage bringt: "Braucht es die Musik überhaupt?" Heidi möchte sie jedenfalls nicht durch die Geräusche ersetzen, die beim Tanzen ohnehin entstehen: "Die Livesituation im Video hinüber zu bringen wäre schwierig. Man müsste den Originalton im Nachhinein aufbereiten."

Judith interessiert sich für die Produktionsbedingungen von Heidis Arbeit: "Treibst Du die Produktionsgelder für einen Film jeweils vorher auf?" Heidi bejaht: "Meistens kommt etwa ein Sechstel oder Viertel des Budgets zusammen. Letztes Mal hatte ich sogar 70 Prozent über öffentliche Gelder gedeckt. Da konnte ich wenigstens die Tänzer zahlen. Wir arbeiten in der Regel gratis. Das Schweizer Fernsehen zahlte früher 270 Franken pro Minute, heute sind es 100 bis 130 Franken, das Tessiner Fernsehen zahlt achtzig. Tanz ist am Fernsehen bei der Sparte Musik untergebracht, beim Tanz wird als erstes gestrichen."

Hansruedi fragt: "Bist Du die einzige, die Tanzvideos macht?" Heidi: Jein. Viele machen Tanzvideos, auch Philippe Saire hat Tanzvideos gemacht. Nur: Du kannst nicht alles an einem Video allein machen. Bei den meisten Tanzvideos gibt es einen Regisseur und einen Choreographen. Die haben immer Interessenkonflikte. Dieses Problem habe ich nicht." Hier schliesst sich eine Diskussion über die Praxis spartenübergreifenden Kunstschaffens an: "Wie arbeitest Du mit den Leuten zusammen? Zum Beispiel mit dem Komponisten, der die Filme vertont, wenn sie bereits geschnitten sind? Wie viele Freiheiten hat er?" will Daniela wissen. Heidi: "Ich gebe Ideen, Stimmungen, Anleitungen. Oft setze ich mich auch mit ihm zusammen und wähle gemeinsam die Töne aus." Adi zieht in Zweifel, ob er es hier überhaupt mit spartenübergreifender Kunst zu tun hat. "Was Du machst, ist Erweiterung des Ausdrucks von Tanz durch andere Mittel. Spartenübergreifende Kunst heisst für mich aber über Grenzen gehen, hybride Formen von Kunst schaffen." Heidi relativiert: "Es gibt Leute, die sagen, meine Arbeiten hätten gar nichts mehr mit Tanz zu tun!" Sie weist darauf hin, dass sie später Architektur und Natur in ihre Arbeit einbezieht. Dann versucht sie den Beweis, dass auch sie Sparten auflöst: "Choreografie ist komponierte Bewegung. Ich komponiere Bilder. Ich komponiere auch den Raum und den Körper."

Adi stellt fest, dass sich Heidi durchaus in der Autorenrolle sieht. "Dabei ist genau das die Crux beim spartenübergreifenden Arbeiten: Die SchöpferInnen sind gleichberechtigt, man braucht viel Platz für Diskussionen, für die Zusammenarbeit." Heidi weist auf ihre enge Zusammenarbeit und intensive Auseinandersetzung mit ihrem Kameramann Brian Goff hin, mit dem sie meist gefilmt hat. Dennoch sei ihr Engagement ein anders als jenes des Kameramannes, der TänzerInnen und anderer Beteiligter. Sie initiiere das Projekt. "Oft muss ich ein Jahr warten, bis ich genügend Geld habe und drehen kann. Dann erst arbeitet der Kameramann, der Komponist noch später. Aber ich bin die einzige, die von Anfang bis Ende dabei ist." Adi schliesst: "Diese Videos sind also Dein Werk im Gegensatz zum Beispiel zu Internet-Arbeiten, wo Autorenschaften sich auflösen." Heidi bejaht: "Ich glaube nicht, dass ich je Bilder anonym aufs Netz stelle, dass ich Open Source arbeite oder etwas derartiges."

Sibylle hat selber getanzt, und zwar vor allem im Bereich Improvisation. Sie weist darauf hin, dass Heidi als Choreografin und Produzentin ihrer Filme den Tänzern gegenüber eine beträchtliche Machtfülle hat. "Wie geht es den TänzerInnen, wenn sie das Produkt sehen?" will sie wissen. "Die Tänzer bringen mir ihre Fähigkeiten mit. Damit arbeite ich. Ich muss die auch mögen. Die Tänzerinnen haben Vertrauen, schenken mir ihr Vertrauen. Ich arbeite mit dem Können, das sie mir geben. Sie sind gespannt auf das Endprodukt und oft überrascht. Sie wissen im voraus nicht, wie es aussehen wird. Ich hatte für die Dreharbeiten zwar oft Themen, Kapitel, aber keine eigentlichen Drehbücher.

Nun sehen wir uns die zweiten drei Filme Heidis an: "Changes", "Intermezzo" und "Whatsoever". Adi sieht sie als Versuche, Sinfonien zu schaffen, im Gegensatz zu den ersten dreien, die er als Sonaten oder Etüden bezeichnet. Die ersten drei haben ihm ganz offensichtlich besser gefallen: "Bei ihnen ist die Leichtigkeit grösser, der Anspruch geringer. Bei der zweiten Serie wird man fast erschlagen. Die kleinen Detailverliebtheit verschwindet. Ausser im letzten, sonst gibt es wieder mehr. In der Sorgfalt der Umsetzung..." Heidi unterbricht diesen Ansatz zur Kritik: "Das hat nichts mit Sorgfalt zu tun. Ich habe irgendwann gedacht: Das habe ich schon gemacht. Ich will nicht Motion II, III und IV machen.

Bezüglich "Changes" herrscht in der Runde Unbehagen. Das Video zeigt eine nackte Tänzerin am steinigen Ufer eines Wildbachs. "Wenn hier seichte Musik gelaufen wäre, dann wäre es als esoterisches Video herübergekommen. Ausser bei einigen Ausnahmen, wo man sieht, dass sehr bildnerisch gedacht worden ist." Hansruedi hat über die Tänzerin gedacht: "So sah Eva aus, nachdem sie aus dem Paradies geworfen wurde." Es fallen Begriffe wie "Jean Jacques Rousseau" oder "der edle Wilde". Judith bringt das Unbehagen auf den Punkt: "Das Bachbett ist am meisten belastet von Bildern. Das macht ihn schwieriger zu goutieren und ihn gleich ohne Kontext zu sehen." Daniela findet, "Changes" unterscheide sich durchaus von esoterischen Filmen: "Die versuchen stets, Güte, Harmonie und Fülle der Natur darzustellen. Das kann man von "Changes" nicht sagen. Die Natur wird im Video ganz und gar Element der Bildkomposition." Auch Daniela teilt allerdings die Einschätzung, dass Heidi sich teilweise zu unbeschwert bereits besetzter Codes bedient hat: "Den 'lonesome Cowboy', der am Schluss von ,Intermezzo scheinbar unbeschwert und mit dem Rücken zur Kamera aus einer Paarbeziehung flieht, konnte ich beinahe pfeifen hören." Heidi bleibt ungerührt: "Ich rege mein Publikum immer dazu an, sich zum Film ihre eigenen Bilder und Gedanken zu machen." Adi wendet ein: "Das sind nicht eigene, sondern kulturell konnotierte Bilder!" Heidi sagt, Es seien eher Fragen nach Bewegung und Energie, die ihre Sicht dieser Arbeit prägten: "Habt ihr menschliche Bewegung mit der Bewegung von Wasser verglichen? Mir ist bei erneuten Betrachten der Arbeit bewusst geworden, wie viel Energie Wasser hat."

Heidi kündigte an, dass ihr nächster Film eine Auftragsarbeit sei, die das Leben Jesu thematisiere. Sie werde später von der reformierten Landeskirche auch in Kirchen gezeigt. Ihr Titel wird "A Man" heissen und wieder viel Natur zeigen, aber auch Szenen in einer Drahtfabrik, in einem Hallenbad und in Augusta Raurica. Sie versteht die Arbeit als offenes Kunstwerk. "Eine Installation mit drei Bildern." Der Tänzer stammt aus einem HipHop-Umfeld. "Bist Du religiös?" fragt Adi. "Überhaupt nicht. Ich bin mit 16 sofort aus der Kirche ausgetreten. Ich habe anfangs sehr am Projekt gezweifelt", sagt Heidi. Der Produzent Roger Vogt habe ihre Arbeiten gesehen und sie schliesslich zum Mitmachen überredet. Adi bohrt weiter: "Hat Dir das nichts zu denken gegeben, dass man Deine Ästhetik für religiöse Inhalte gebrauchen kann?" Doch, sagt Heidi. Für sie sei "A Man" aber kein religiöses Video, sondern ein Tanzvideo. "Erst musste ich 'A Man' abstrahieren von der Kirche. Man sieht darin einen Menschen, der eine Krise überwindet und damit zur Identifikationsfigur für viele andere wird. Natürlich wird darin ein Kreuz vorkommen. Eines, das mir übrigens sehr gefällt." Judith findet es eine spannende Herausforderung, "eine Form heranzubringen, die viel offen lässt, keine Erwartungsschiene bedient, Möglichkeiten der Interpretationen offen lässt."

Heidi stellt klar, was sie an dieser Arbeit gereizt hat: "Ich kann viel lernen, mit Mitteln arbeiten, mit denen ich schon lange experimentieren wollte und das Geld stimmt. Eine wichtige Bedingung, denn wenn ich meine Arbeiten nicht finanzieren kann, muss ich aufhören. Ich würde auch für Adidas filmen oder für eine Body Lotion. Ich würde allerdings versuchen, die Arbeit auf eine Art zu machen, die mir gefällt. Alles würde ich für Geld nicht machen!"

Hansruedi berichtet von einem Referat, das er im Kulturmanagement-Studium gehört hat. Es hiess "Kulturmanagement und das Heilige". Sie lief, etwas verkürzt formuliert, auf die Frage heraus: Warum unterstützen die Leute eine Institution, die ihnen nichts sagt? Hansruedi erläutert das Fazit: "Die Leute wollen, dass die Bauwerke der Kirche erhalten bleiben. Die Kirche wird zudem immer mehr zum Ort der Kultur, wo man auch mal hingeht, um sich ein Konzert anzuhören." Heidi schwärmt: "Die haben Geld! Dort kauft man Projektoren ganz einfach, wenn man welche braucht."

Wer die Protokolle per E-Mail erhalten will, soll mir die Adresse schicken > alilum@bluewin.ch. Und wer die Protokolle überhaupt nicht mehr erhalten will, soll mir das doch auch mitteilen. Liebe Grüsse Adi

Es diskutierten: Judith Huber, Sibylle Hurschler, Adi Blum, Hansruedi Hitz und Daniela Bühler. Zu Essen gab's Ratatouille, Baked Potatoes und als Dessert Kirschen mit Sauerrahm und Vanillezucker.

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