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NAGA

Nachtessen am Gartenweg: Hans Thalmanns Utopikon

Es war der 25. August 2016. Es waren genau 16 Jahren her, seit ich zum letzten mal in Ebikon gewesen war. Ich war 75 und befand mich auf einer Reise, auf der ich alle Orte, an denen ich im Laufe meines Lebens einmal gewesen war, noch einmal anschauen wollte. Es war Donnerstag, wieder ein warmer Sommertag, noch wärmer als an jenem Abend, als ich ans Nachtessen am Gartenweg eingeladen war. Das globale Klima hatte sich weiter erwärmt. Obwohl vieles versucht worden war, hatte man die Erwärmung nicht ganz stoppen können. An diesem Donnerstag war es also wirklich heiss, und ich erinnerte mich, dass ich auch vor 16 Jahren die Badi von Ebikon besucht hatte. Ich erinnerte mich, dass sie zu Fuss ein rechtes Stück vom Bahnhof entfernt war. Ich nahm deshalb per Bahn mein Velo von Uster mit. Das ging problemlos, weil die Bahnen waren heute bestens eingerichtet und ein Velotransport kostete den Reisenden nichts mehr. Die Velofabrikanten hatten ja schon längst einen Wettbewerb unter einander ausgetragen, und für den Velotransport standen genügend Sponsorengelder zur Verfügung. Im Zug war da das kleine Schild, auf dem zu lesen war: Billiger dank Villiger. So kam ich also beim Bahnhof Ebikon an, stieg aus dem Zug, mit meinem alten Velo, stand da, und schaute mich um.

Es war ungefähr zwei Uhr. Nicht viele Leute waren unterwegs. Die Anschrift des Bahnhofs fiel mir auf. Da stand EBIKON, aber jemand hatte ein mit improvisierter Schrift ein AG ergänzt, so dass da jetzt EBIKON AG zu lesen war. Was war da los? Kämpften da politische Aktivisten für eine Fusion des Kanton Luzerns mit dem Kanton Aargau? Ich schaute mich weiter um und sah, dass dort, wo vor sechzehn Jahren noch ein Güterschuppen gestanden hatte, ein moderner Neubau entstanden war. Er erinnerte an ein Museum. Bitte bedienen Sie sich, konnte ich lesen. Es waren eine mit Solarenergie betriebene Velostation, und es gab dort nicht nur Velos, sondern auch diese Vierplätzer, es hatte auch Rollbretter, Trottinetts und die Elektro-Bikes. Wenn ich da gewusst hätte, dachte ich, dann lasse ich doch mein altes Velo hier und probiere für einmal ein solches E-Bike, die hier abgegeben werden. Nur Lift fahren ist bequemer versprach Ihre Schindler, und der Gemeinderat von Ebikon warb mit einem weiteren Slogan: Ebiker und Ebikerinnen sind E-biker und E-bikerinnen.

Ich nahm also mein Velo, überquerte den Platz und sah plötzlich ein Mädchen, das ein farbiges, ansprechendes Plakat an die Velostation hängte. Ich sah, dass es sich um die Ankündigung eines Fest handelte. Ich fragte nach und das Mädchen erklärte mir, seit ein paar Jahren sei das kosovo-albanische Obilitz die Partnerstadt von Ebikon. Von hier seien diesen Frühling drei Klassen vierzehn Tage lang nach Obilitz gereist, und jetzt seien drei Klassen von dort hier in Ebikon. Morgen, Samstag, sei dieser Austausch wieder zu Ende, und daher würden sie ein Mega-Bombenfest veranstalten. Nicht nur im Schulhaus, auch im Gemeindehaus, auf dem Parkplatz, überall.

"Habt ihr denn genügend Leute, die da mitorganisieren?" wollte ich wissen. "Doch, die gibt es schon," sagte sie, "zum Beispiel Senioren und Seniorinnen. Von denen würden ziemlich viele helfen." Ich war erstaunt, wie gut sie mir alles erklären konnte, sie sagte, die Ergänzungsleistungen für Alte bekomme man nur, wenn man sich gleichzeitig auch dazu verpflichte etwas fürs Gemeinwesen zu tun. Da gebe es sehr wertvolle Leute. Und da seien noch die Vereine, die von der Gemeinde unterstützt würden unter der Auflage, dass sie bei solchen Anlässen mithelfen würden. Und sie vom Schulhaus ZENTRAL würden neben dem regulären Schulbetrieb häufig solche Sachen veranstalten. Das stehe ja auch im Leistungsvertrag der Schule.

"Was für ein Leistungsvetrag?" wollte ich wissen. "Ja," sagte sie, "das ist das wichtigste. Dort steht ja, was die Schule anbieten muss, und welche Ziele erreicht werden sollen. Übrigens wegen diesem Leistungsvertrag..." und sie zeigte auf ein anderes, ebenfalls ganz farbig gestaltetes Plakat, "die Gemeindeversammlung ist kommenden Donnerstag. Da wird eine Abänderung des Leistungsvertrags mit dem Schulhaus ZENTRAL diskutiert." Sie las das Traktandum. "Förderung des interkulturellen Verständnisses. Der Leistungsvertrag der Schule soll abgeändert werden. Zukünftig müssen diese Schüleraustausche obligatorisch drin sein. Es wird dann auch ausgewertet werden müssen, ob das Verständnis zwischen der kosovo-albanischen und der Schweizer Jugend wirklich grösser geworden ist." Ich war erstaunt, dass sie mir all das so ausführlich erklären konnte.

"Habt ihr das in der Schule gelernt?" fragte ich. Nein, sagte sie, das würden sie zu Hause diskutieren. Sie gehe natürlich auch an die Gemeindeversammlung nächsten Donnerstag. Sie habe schon lange das Stimmrecht. Ihr sei das geläufig. Und Ausländer und Ausländerinnen sollten es auch bald kriegen. Darum seien diese Austausche so wichtig. "Und diese Plakate hast du gemacht?" fragte ich. "Wo hast du das gelernt?" In allen Schulhäusern sei es jetzt so, sagte sie, dass sie nur bis mittags um zwei unterrichtet würden, alle würden aber ihr Programm individuell zusammenstellen, nachmittags hätten alle die Möglichkeit, Wahlkurse zu besuchen. Sie gehe nach Luzern an die Schule für Gestaltung. Dort würde Kurse für Kommunikationsdesign angeboten.

Ich hätte noch gerne mehr erfahren, aber ich merkte, dass sie weiter wollte. Sie nahm ihre Sachen und ihr E-Bike, aber bevor sie losfuhr, fragte ich sie noch, ob sie wisse, was dieses AG bedeute, das auf das Bahnhofsschild geschrieben worden sei. Vielleicht ein Witz, sagte sie, das habe, jemand darauf geschrieben, weil Ebikon halt schon bald eine Aktiengesellschaft sei. Aber das solle mir jemand anders erklären. Sie müsse weiter. "Also ciao, ähm..." "Anita," sagte sie. Dann sei sie also 12, sagte ich. Woher ich das wisse? fragte sie erstaunt. Ich sagte, vor zwölf Jahren habe die Anita Weyermann im 10´000-Meter-Lauf die Goldmedaille an der Olympiade gewonnen und fast alle Mädchen seien Anita getauft worden. Und sie fragte mich nach meinem Namen. Ich sagte, Hans. Und sie sagte, dann bist du 75. Wie sie das nun wisse, fragte ich. "Mein Urgrossvater heisst auch Hans und ist 75." Und sie machte sich davon.

Da stand ich in dieser Sommerhitze am Bahnhof. Es gab auch schon einige Bauten nahe beim Bahnhof. Das war vor 16 Jahren noch nicht so gewesen. Früher hatten hier noch Geissen geweidet. Als erstes wollte ich wie damals baden gehen. Ich ging zur Hauptstrasse und sah, dass die Strasse mit all diesen Ampeln nicht mehr war. Sie war verschmälert worden. Ich fuhr mit dem E-Bike zum Rotsee. Da war die Badi. Dort hatte sich einiges geändert. Auch hier wurde Solarenergie genutzt. Am Rand des Sees ist ein zusätzliches Becken gebaut worden. Da, wo früher Mauern waren, war etwas, was an ein Amphitheater erinnerte. Die Badi war sehr gut besucht. Von den gesprochenen Sprachen her merkte ich sofort, dass auch die kosovo-albanischen Jugendlichen hier waren. Sie sassen teils in Gruppen, und bereiteten vermutlich diesen Abschlussabend vor. Unten in der Arena lief irgendeine Aufführung. Ich setzte mich oben hin, und schaute ein bisschen zu. Das war ganz interessant, was sich da abspielte. Neben mich setzte sich dann ein alter "Chnuschti" und schaute ebenfalls hinunter in die Arena. Nach einer Weile fragte ich ihn, ob er mir erklären könne, was sich da tue. Er meinte, das seien die Leute von der Boa, Luzern. Sie würden mit diesen Jugendlichen für den Samstag proben. Es sei eine von diesen Produktionen für den Schlussabend.

Ich bohrte weiter. Ich wollte mehr wissen. Das habe etwas mit der Investitionssteuer zu tun, sagte der alte Herr. Seit ein paar Jahren hätten sie ein neues Steuersystem. Man müsse nicht einfach alle Steuern zahlen, sondern man habe auch die Option, öffentliche Aktien zu kaufen. Er nannte mir ein Beispiel: Statt 1000 Franken Steuern zu zahlen, könne man für 5000 Franken Aktien kaufen. Die würden dann einem persönlich gehören. Man bekomme eine bescheidene Dividende. Manchmal auch mehr. Er habe zum Beispiel Aktien von dieser Badi. So habe Ebikon das nötige Investitionsgeld gekriegt, um diese Badi überhaupt sanieren zu können. Er habe auch Aktion von der Boa, und die Gemeinde Ebikon habe dort auch investiert. Seine Urenkelin habe auch solche Aktien. Wenn man wegziehe könne man die Aktien an die Gemeinde zurückverkaufen, und die gebe sie dann weiter an die jungen Bürger und Bürgerinnen.

Ich fragte ihn, ob seine Urenkelin Anita heisse. Woher ich das wisse, wollte er wissen. Ich sagte, ich habe sie eben getroffen. Er bejahte. Dann heisse er also Hans, vermutete ich. Und er nickte. Wir kamen schnell ins Gespräch. Wir sprachen lange. Es war heiss. Zwischendurch ging ich schnell ins Wasser, um mich abzukühlen. Ich fragte ihn, wie das denn gekommen sei, dass da in diesem Ebikon Sachen in Gang gekommen seien. Es sei natürlich immer viel gemacht worden, sagte er, aber entscheidend sei schon der Entschluss vor 8 Jahren gewesen, als man sich entschlossen habe, das Amt des Gemeindepräsidenten auszuschreiben. Da sei dann ein Dobler aus dem St. Gallischen gekommen, der an der PolEx ausgebildet worden war, und der eine Vorstadt von St. Gallen geführt hatte. Der sei hier von der Bevölkerung gewählt worden, und seit dieser Wahl sei hier einiges in Gang gekommen. Der Dobler verstehe sein Geschäft. Der sei auch unabhängig. Ob der jetzt noch im Gemeindehaus sei, wollte ich wissen. Es war schon etwa halb sechs, sechs. Ja, er glaube schon, das sei nicht ein Beamter wie üblich. Der sei vielleicht schon noch da. Übrigens komme bald wieder ein neuer. Auch ein Profi. Aus einer anderen Gegend.

Ich zog mich um und eilte zum Gemeindehaus geeilt. Und tatsächlich war es noch offen. Im unteren Stock des Gebäudes befand sich eine Bibliothek, die Tag und Nacht geöffnet war. Sie war ein Zentrum, wo man sich jederzeit treffen konnte. Ich eilte die Treppe hoch, in das Büro von Dobler, die Türe stand offen war offen. Ich blieb im Türrahmen stehen. "Herr Dobler." Das Büro war ein Chaos. Dobler war am Aufräumen. Der Gemeindepräsident schaute hoch. Ich fragte ihn, ob ich mich ein bisschen umschauen dürfe, ich sei vor 16 Jahren schon mal hier gewesen. Dobler hatte schon vieles für die Abreise gepackt. Aber hinten war noch eine fertig dekorierte Wand, an der ich wieder diese farbigen Plakate hängen sah. Ich fragte, ob die alle von dieser Anita stammen würden. Er nickte. Dieses Mädchen sei ganz fantastisch, sagte er, er werde am nächsten Donnerstag den Seerosenpreis geben. Das Mädchen wisse noch nichts davon. Er selber sei nicht mehr lange hier, er gehe in den Kanton Bern, er sei dort gewählt worden als Gemeindepräsident von Z.. Wenn ich ausführlicher mit ihm sprechen wolle, solle ich ihn dann dort besuchen, jetzt habe er leider nicht viel Zeit, er sei zu einem Nachtessen eingeladen.

Ich bedankte mich bei ihm, nahm mein E-Bike, fuhr zurück zur Velostation und tauschte es wieder gegen mein altes Velo. Als ich auf den nächsten Zug wartete, schaute ich noch einmal auf das Ortsschild. Das AG war inzwischen schon wieder abgeändert worden! Statt AG stand da jetzt AGENDA 21. Der Zug fuhr ein. Müde, aber glücklich, setzte ich mich in ein Abteil und mir kam das Nachtessen in den Sinn, zu dem ich im Jahre 2000 eingeladen worden war. Ich schloss die Augen und mir kam der Spruch in den Sinn, der mir immer als Leitspruch gedient hatte: "Wenn einer alleine träumt, dann ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit."

Wer die Protokolle per e-mail erhalten will, soll mir die Adresse schicken (alilum@bluewin.ch). Neu aufgearbeitet sind sie auch unter www.zusammenstoss.ch einzusehen. Und wer die Protokolle überhaupt nicht mehr erhalten will, soll mir das doch auch mitteilen.


Nächstes Treffen: Freitag, 22. September, um 19 Uhr: p.m.

p.m. brauche ich nicht mehr vorzustellen. Wir lasen zum Neuen Jahr 2000 den dreibändigen utopischen Ritterroman "Die Schrecken des Jahres 1000" in der Boa. Wir diskutierten an seinem Hochzeitstag, als er nicht los konnte, die Vor- und Nachteile des Heiratens (überzeugend genug: Gabriela Gyr, die auch dabei war, heiratet am 30. September!). Und über Kraftwerk 1 haben wir ja auch schon gesprochen: http://www.kraftwerk1.ch/start_index.html.

Beim Nachtessen mit Hans Thalmann waren dabei: Adi Blum, Judith Huber und Peter Troxler. Zum Essen gab es eine kalte Platte.


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