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Nachtessen am Gartenweg: Monte Verità

Der neue Mensch ist der Grundstein für eine neue Gesellschaft, dachten die Begründer von Monte Verità. Nicht durch Veränderung von Genen wollten sie ihn erschaffen, sondern durch Veränderung des Geistes. Ihre ideellen Weggefährten waren unter anderen Nietzsche (Stichwort: Übermensch), Rousseau (Stichwort: zurück zur Natur) und Tolstoj, nach dessen "Mann der Wahrheit", sie auch ihren Berg in Ascona tauften: Monte Verità, der Berg der Wahrheit, der Sinai oder Olymp der neuen Zeit. Einen Anteil Rudolf Steinerscher Anthroposophie ist auch deutlich auszumachen. Monte Verità ist ein Mythos, der bis heute anhält, viele berühmte Leute waren dort als Gäste, Hermann Hesse, Otto Gross, Sophie Täuber, Hans Arp, Rudolf von Laban, Otto Schlemmer, Paul Klee und auch C.G. Jung. Worauf genau der Mythos dieses Berges beruht, versuchten wir an diesem Abend auszumachen.

Auf dem Berg steht ein grosses Hotel, ein kleineres mit Turm, ein paar weitere Häuser. Vor 1900 war alles überwuchert mit Ginster und es benötigte viel Handarbeit, den Ort bewohnbar zu machen. Es waren sieben Leute aus München, unter ihnen Ida Hofmann, Henri Oedenkofen, der Sohn eines Industriellen, und die zwei Brüder Karl und Arthur Gräser, die diese Arbeit auf sich nahmen. Ein Jahr später zeigte sich, wer das Sagen hatte, nämlich das Ehepaar Oedenkofen-Hofmann, welches mit Unterstützung des reichen Vaters ihre Idee einer Naturheilanstalt (Sanatorium) durchsetzen konnten. Die anderen hatten sich viel mehr die Gründung einer selbstversorgenden Siedlung zum Ziel gemacht. Ida Hofmann und Henri Oedenkofen setzten auf vegetarisches Essen, auf Rohkost und Reformkocher und Monte Verità wurde zu einem Sanatorium, welches in einer Zeit des aufkommenden Südtourismus auch durchaus rentierte. 1920 reiste das Ehepaar dann nach Brasilien, um eine neue "Kolonie" zu gründen.

Die detaillierte Geschichte von Monte Verità ist abrufbar auf folgender Seite www.csf-mv.ethz.ch/Official/MonteVerita/History.html

Andreas Schwab konzentriert sich auf die Zeit zwischen 1900 und 1920, für die der Mythos "Monte Verità" steht. Was war die Utopie, die diese Leute trieb? Die Bewegung ist durchaus vergleichbar mit der Hippie-Bewegung, freie Liebe, Gemeinschaftserlebnis, Ablehnung der materialistischen Welt, ganzheitliches Denken als Stichworte genannt. Monte Verità war aber "gesund", Drogen spielten keine Rolle, dafür kam ein Naturverherrlichung dazu, spirituelle Werte aus der Theosophie und der Nudismus, die Freikörperkultur, die aber eher in einem "klinischen", das heisst therapeutischen, Sinne gemeint war: Die Gäste von Monte Verità nahmen als Teil der Kur ein "Licht- und Luftbad". Licht und Leben waren zentrale Begriffe für die Bewegung. Sie stellten sich ein Leben vor frei vom Staat und der Kirche. Der "neue" Mensch war der sich selbstentfaltende Mensch.

Nicht zu vergessen ist, dass es bei Monte Verità um viele Individualisten ging. Das Spektrum reichte vom politisch aktiven Anarchist Erich Mühsal (Wir essen Salat / von früh bis spat) bis zum doch eher wertekonservativen Rudolf von Laban, der sich später als "Elitist" outete und der 1913 auf dem Monte Verità seine Sommerschule für Bewegungskunst gründete. Gegensätze trafen sich. Mühsam wollte im Monte Verità "Die Republik der Heimatlosen, der Exilierten und Notleidenden" sehen. Laban gab Kurse für ganzheitliches Denken. "TANZ-TON-WORT-FORM" war so ein transdisziplinäres Projekt, das morgens mit Jäten begann und abends mit einer Auswertungsrunde endete.

Andreas meinte, der Mythos von Monte Verità sei eher in den Biografien der einzelnen Beteiligten begründet. Hermann Hesse schrieb mit Demian seinen "Monte Verità"-Roman, in welchem der Mitbegründer Gräser eine wichtige Rolle spielte. Franziska zu Reventlow, Königin der Münchner Boheme und aktive Vertreterin der freien Liebe, verliess Schwabing, um in Ascona zu leben. Der Psychoanalyst Otto Gross plante für Ascona eine Universität für die "Emanzipation der Menschheit". Mit den grossen Namen wuchs der Ruf von Monte Verità. Und die Anekdoten über die "Nackten" in Ascona gaben mehr als genug zu Gerüchten Anlass...

Monte Verità spielte keine aktive politische Rolle. Es wandte sich von der Welt ab und versuchte über den individuellen Weg zu sich selbst eine mystische Gemeinschaft aufzubauen. Sie proklamierten die freie Liebe doch um die Geschlechterfrage auf einer politischen Ebene (wie zum Beispiel die Souffragettenbewegung) kümmerten sie sich kaum bis gar nicht. Die Männer sahen sich als internationale Naturmenschen mit Bart, zogen herum in Europa und hatten Kinder da und dort. Die Maxime: Frauen und Männer sind gleich, aber anders. Hierzu Franziska zu Reventlow (aus Viragines oder Hetären): "Die geschlechtliche Attacke ist die Urleistung des Mannes, die er auszuüben vermag, und von der aus sich sein Wesen und seine Stellung in der Welt gebildet und entwickelt hat. - Das Weib erwartet, verlangt sie, gibt sich ihr hin. Das ist seine Funktion. Und warum soll in dieser äusserlich passiven Rolle etwas Erniedrigendes liegen? (...) Für jedes wahrhaft erotisch empfindende Weib liegt gerade ein unendlich feiner Reiz darin, den stärkeren Gegner im Liebeskampf anzureizen, zu versuchen und sich ihm dann im selbstvergessenen Rausch zu schenken. Und sie wird im entscheidenden Augenblick durchaus nicht das Gefühl einer Niederlage haben - im Gegenteil, die Bejahung des Lebens ist immer ein Siegesgefühl." Und die natura frigida soll es einfach bleiben lassen, schreibt sie. Wahrlich nicht sehr tiefgreifend.

Die Vermeidung des Politischen führte auch in anderen Gebieten zu grossen Schwärmereien. Das pantheistische, naturreligiöse Weltbild des Monte Verità zeigt Parallelen zum theosophischen (Blavatsky), wenn es nicht sogar aus seinem Fundus schöpft. Auf der Theosophie beruht auch Rudolf Steiners Anthroposophie (Steiner gründete 1913 die Anthroposophische Gesellschaft). Blavatsky´s Wurzelrassenlehre, die Wurzelrassen und Unterrassen kennt, und die auch Steiner zu grossen Teilen so übernommen hat, ist deutlich rassistisch. "Die weisse Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse," verkündete Steiner an einem Vortrag am 3. März 1923. Der utopische Gehalt des "neuen Menschen" kann durch ihre schwärmerische, irrationale Begründung (Licht und Leben) schnell zum "völkischen" und "arischen" Gehalt werden. Klar ist frühschnelle Rückbezüge können gefährlich sein. Auschwitz kam zwei bis drei Jahrzehnte später. Monte Verità war nicht faschistoid konzipiert. Die Nationalsozialisten haben gewaltsam vereinnahmt, was in ihr Konzept passte, und so auch das Konzept des (gezüchteten) "neuen Menschen", aber es zeigt dennoch auf, welche schwarze Seele auch in jeder lichten und romantischen Utopie schlummert. - Und da gibt´s ja, als Gegenargument zu den träumenden Utopisten, den Anarchist Erich Mühsam, der, selber Jude und Homosexueller, eine wichtige Figur des Monte Verità war. Andreas schilderte uns seinen politisch aktiven Lebenslauf, der nach diversen Auf und Abs in den KZ der Nazis endete.

War Monte Verità perfekte Schrebergartenkultur? Was macht es aus, dass wir noch heute über die 20 Gründerjahre Monte Verità sprechen? Andreas meinte, auch das Diskutieren eines gescheiterten Projektes sei spannend. Seine Suche sei keine Suche nach der Heilslehre jener Gruppe. Grundsätzlich habe es sich bei Monte Verità um einen Kreis von Avantgardisten gehandelt. Heute könne man Reformbrot kaufen, Vollkorn, und im Konkubinat leben. Dazu hätten die Menschen von Monte Verità vorgearbeitet, das ihre getan. Seiner Meinung nach hätten sie tatsächlich, ihren Garten bestellend, die Politik verschlafen, aber er würde diese an sich wachen Menschen nicht als Wehrlose gegen den Einfluss des Faschismus darstellen wollen.

Petra meinte, das erstaune sie immer wieder, wie in jener Zeit unterstützbare humane Bewegungen in den Faschismus mündeten. Sie erzählte uns die Generationenparabel "Tango" von Mrocek, in der über drei Generationen hinweg, die jeweils jüngere gegen die Lebensentwürfe (wilde Freiheit versus geordnete Strukturen) der jeweils älteren revolutionieren und so zu Wegbereiter des Faschismus werden. Auch der Faschismus habe ja einen utopischen Charakter, und zugegebenermassen hatten die Nazi sogar mit ihren Mitteln eine gewisse Reinheit der Utopie erreichen können. Sie stellte eine zentrale Frage: Bereiten Utopien den Weg für totalitäre Regime?

Zum Abschluss noch das Gedicht "Der Revoluzzer" (1907) von Erich Mühsam, ein Spottlied auf die Politik der Sozialdemokratie. Weil´s so schön ist und der Mühsam auch dabei war, auf dem Monte Verità.

War einmal ein Revoluzzer

im Zivilstand Lampenputzer;

ging im Revoluzzerschritt

mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: "Ich revolüzze!"

Und die Revoluzzermütze

schob er auf das linke Ohr,

kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten

mitten in der Strassen Mitten,

wo er sonsten unverdrutzt

alle Gaslaterne putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,

rupfte man die Gaslaternen

aus dem Strassenpflaster aus,

zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer

schrie: "Ich bin der Lampenputzer

dieses guten Leuchtelichts.

Bitte, bitte, tut ihm nichts.

Wenn wir ihn´ das Licht ausdrehen,

kann kein Bürger nichts mehr sehen.

Lasst die Lampen stehn, ich bitt! -

Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!"

Doch die Revoluzzer lachten,

und die Gaslaternen krachten,

Und der Lampenputzer schlich

fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zu Haus geblieben

und hat dort ein Buch geschrieben:

nämlich, wie man revoluzzt

und dabei noch Lampen putzt.

Wer die Protokolle per e-mail erhalten will, soll mir die Adresse schicken (alilum@bluewin.ch). Und wer die Protokolle nicht mehr erhalten will, soll mir das doch auch mitteilen.


Nächstes Treffen: Freitag, 29. Oktober, um 19 Uhr: DELPHI 98 - Zukunft nachgefragt

An diesem Abend beschäftigen wir uns mit dem von einem deutschen Bundesministeriums in Auftrag gegebenen Bericht "Delphi `98 - Zukunft nachgefragt - Studie zur globalen Entwicklung von Wissenschaft und Technik" vor. Sie prognostiziert die Arbeitsplatzsituation der kommenden fünfzig Jahre. Peter Troxler vermittelt.

Am Abend mit Andreas Schwab waren dabei: Hansruedi Hitz, Judith Huber, Peter Troxler, Daniela Bühler, Adi Blum und Petra Fischer. Zu essen gab es verschiedene Sorten von Ravioli.


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