DAS KULTURKABINETT



Protokoll vom 12. Februar 98

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Nachtessen am Gartenweg

Nach dein fünfzehnten zusammenstoss vom 12. Februar hier das Protokoll des Abends und eine Einladung für das Nachtessen vom Donnerstag, 6. März 20.15. Am 23. Januar war Nika Spalinger da. Das Thema: Greenaway, The Pillow Book. Bei Kürbissuppe. Bei Film und Diskussion waren da: Roberto Di Valentino, Guy Krneta, Michael Wolf, Fritz-Franz Vogel, Claudia Fischer, Adi Blum, Judith Albisser, Paola Di Valentino, und Judith Huber.

Ein bisschen unglücklich war, dass Nika - kaum war der Film, 'The Pillow Book", fertig - ein Taxi nehmen musste, um den Zug nach Bern noch zu erwischen. Nichtsdestotrotz war die Diskussion nach dem Film spannend: Greenaway, ein innovativer Filmemacher, oder Greenaway, der nur noch die Muster seiner früheren Filme repetiert? Der Film lässt sich nicht beschreiben. Themen sind: Japan, Kalligraphie, das Schreiben auf Körper...

Formal verwendet Greenaway unter anderem wieder die Frames im Frame, die Schrift als bedeutsames Element im Film, die Kataloge und Listen als narratives Mittel. Um mit dem Protokoll dem Abend gerecht zu werden, der doch vor allem aus dem Betrachten des Films bestand, füge ich hier ein paar Stellen aus "Das Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shonagon" an, welches Greenaway als freie Vorlage für den Film diente.

WAS HERZKLOPFEN VERURSACHT

Frisch ausgeschlüpfte Vögel im Nest, weil sie so hilflos sind.

Wenn man zwischen herumkriechenden Säuglingen hindurchgehen muss.

Ein schöner Mann von hohem Stand, der vor meinem Hause den Wagen anhält und vom Gefolge um Eintritt bitten lässt.

Allein in einem Raum zu liegen, der von Weihrauch erfüllt ist.

Wenn ich mir die Haare gewaschen und die Kleider, die frisch mit Weihrauch parfümiert sind, angezogen habe, so klopft mein Herz vor Wohlgefühl, wenn mich auch niemand sieht.

Man erwartet den Geliebten zu nächtlicher Stunde und achtet ängstlich auf jeden Laut. Plötzlich wird man vom Geräusch eines Platzregens aufgeschreckt, den der Wind gegen die Bambusjalousien peitscht.

WAS VORNEHM IST

Schnee auf Pflaumenblüten.

Glyzinienblüten.

Ein bildschönes Kind, das Erdbeeren isst.

Eine weisse Jacke, auf hellvioletter Weste.

Entenkücken.

Ein Rosenkranz aus Bergkristall.

MEINE LIEBLINGSFARBE

Alles, was purpurviolett ist, gefällt mir, ganz gleich, worum es sich dabei handelt: ob um Blumen, Fäden oder Papier. Eine Ausnahme mache ich nur bei der Schwertlilie, die ich ihrer Form wegen nicht mag. Die Farbe finde ich allerdings bezaubernd. Ich glaube, wenn mir die Beamten des sechsten Ranges, die die Nachtwache bei Hofe versehen, so gut gefallen, so ist das auf das Violett ihrer Gewänder zurückzuführen.

Erste Reaktion auf den Film, Enttäuschung. Greenaway repetiert die Muster, die er in seinen früheren Filmen verwendet hat. Nichts Neues von Greenaway. Die Bilder, die im Bild erscheinen, fügen dem Film nichts hinzu. Der Kultursprung nach Japan ist nicht zwingend. So vor allem Nika und Judith Albisser.

Adi fand den Film nicht den gelungenste Greenaway, aber auch keinen schlechten. Greenaway produziert ja immer experimentelles neben dem kommerziellen in einem A B A B...- Muster. Nun war ein leichter verdaulicher an der Reihe. Zudem stammt der Stoff vom 'Pillow Book' aus einer früheren Phase (1984), wahrscheinlich einer Zeit, als das Schreiben auf Körper (Vergleich zu "The Cook, the thief...") für Greenaway aktuell war. Spannend sei auch die Verwendung von Listen (das Katalogisieren ist eine Leidenschaft Greenaways), welches formal dem 'Kopfkissenbuch der Hofdame Shonagon' ja auch entspräche.

Roberto fand den Film auch nicht umwerfend, aber doch eine gute Arbeit. Er findet es spannend, wie Greenaway es schafft, die 'Hollywood-Filmdramaturgie' auf den Kopf zu stellen, die immer dieselbe Geschichte jedesmal noch aufwendiger (Dinosaurier, Titanic) erzählt. Hier muss einmal die Wende zu einer neuen Dramaturgie, die den Sehgewohnheiten der neuen Generation entspricht, kommen. Greenaway ist in diesem Sinne seiner Zeit voraus.

Guy vermisste beim Film die 'schlichte' Dramaturgie. Der Film bausche auf und flimmere schmerzlos an einem vorbei. Er lässt den Zuschauer und die Zuschauerin anteillos ausserhalb des Geschehens stehen. Das Thema des Einritzens in die Haut provoziere zudem fragwürdige Assoziationen an das jüdische Schicksal und den Faschismus. Hier nahm Fritz Greenaway in Schutz: der Stoff stammt aus dem Jahre 1´000 einer Zeit, weit fern des 20sten Jahrhunderts. Ihn interessiert die Wechselwirkung von Bild und Text: ut pictura poesis, die Sprache unserer Grafik bekommt ja auch immer bildhafteren Charakter, die Sprache verweist auf ein Nichtpräsentes (Semantik) bleibt aber körperhaft in unserer Welt.

Adi erwähnt, dass Greenaway in seinen Interviews immer auf die 'Heirat von Bild und Text' hinweist: nicht der Text gibt die Bilder vor, sondern die Beziehung zueinander steht im Vordergrund. Judith Albisser meint, dann mögen die Bilder aber berühren.

Zum Schluss diskutierten wir die neuen Medien: CD-ROM, als ein Medium, bei dem der Betrachter seinen Weg selbständig durchs Werk sucht - nicht mehr die Aufmerksamkeit durch den Filmemacher gelenkt wird. CD-ROMS - gekoppelt mit dem Internet, der Betrachter sucht den Weg durchs Werk und findet immer wieder Neues, was aufs Netz eingespiesen wird. Wer produziert? Wer ist Konsument? Dieses Verhältnis ist nicht mehr selbstverständlich.

Für das Essen vom 6 März stehen noch zwei Möglichkeiten offen: Fritz würde etwas vorbereiten - oder wir laden Tom ein, ein Kollege von Roberto, der viel über Ausserirdische weiss. Vielleicht gibt es eine Terminverschiebung, das würde ich so schnell wie möglich mitteilen. Und wie immer: Wer kein Protokoll mehr erhalten will, soll mir doch das sagen, auf Telefonbeantworter sprechen, schreiben. Mit lieben Grüssen. Adi.