DAS KULTURKABINETT



Protokoll vom 30. Oktober 97

mail

Nachtessen am Gartenweg

Nach dem elften zusammenstoss hier eine kurze Zusammenfassung des Abends vom 30. Oktober und eine Einladung für das Nachtessen vom Freitag, 14. November, 20.15. Ein bisschen kurzfristig, dafür ist das Thema umso spannender. Judith Albisser hat einen Gast eingeladen, der Computerprothesen für behinderte Menschen entwickelt. Ich hoffe, es werden einige kommen können. - Hier noch die Folgedaten: Freitag 5. Dezember, dann - vorgezogen wegen den Feiertagen - Freitag 19. Dezember, dann im 98: Freitag 23. Januar und Freitag 13. Februar. Ich behalte mir vor, am Schluss dieses Protokolls einige Informationen über den aktuellen Stand "zusammenstoss" und über die Frühlingsproduktion in der Tuchlaube, Aarau, aufzuführen. Am 30. Oktober trafen sich Edgar Frey, Judith Albisser, Claudia Fischer, Adi Blum und Judith Huber. Zu essen gab es Raclette.

Uns beschäftigte ein Themenkreis, der so komplex ist, wie sein Name tönt: Desoxyribonucleinsäure, kurz DNS. Sie bildet den biologischen Bauplan jedes organischen Lebens, befindet sich im Zellkern und ist neben den Proteinen - wichtigster Bestandteil der Chromosomen. Die DNS hat eine fadenförmige, doppelsträngige Struktur, die sich wendeltreppenartig um ihre eigen Achse dreht: die Doppelhelix. Als Gen bezeichnet man den Abschnitt der Helix, der die "Bauanleitung" für die Herstellung eines Proteins speichert.

Desweiteren beinhaltet Gentechnologie alle Methoden, die sich mit der Isolierung, Charakterisierung, Vermehrung und Neukombination von Genen beschäftigen. Im ersten Teil des Abends erarbeiteten wir uns die Grundlagen - Erinnerungen an den Biologieunterricht wurden wach - um im zweiten Teil die Anwendung der Gentechnologie und ihre Rolle als Schlüsseltechnologie der Zukunft zu diskutieren.

Wir lasen einen Aufsatz von Andreas Wälchli (1996). Die Dimensionen sind gewaltig. Der DNS-Faden jeder menschlichen Zelle hat imaginär gestreckt - eine Länge von zwei Meter. Somit addiert sich die Länge der gesamten menschlichen DNS auf - 120 Milliarden Kilometer. Den gesamten genetischen Code für einen menschlichen Organismus zu finden dürfte recht aufwändig sein. Die Folgen partikulär eingreifender Manipulationen sind nicht absehbar. Diese Feststellung bildete Grundtenor des Abends. Die Vererbung manipulierten Zellmaterials ist ein Abenteuer, dessen Ausgang niemand vorherbestimmen kann. Wenn man nur einen Teil des ganzen vor Auge hat und experimentiert, kann das hochsensible Gebilde "Körper" Schaden nehmen.

Das "Facts" brachte gerade vorige Woche eine Titelgeschichte: Organe aus dem Labor. Forscher züchten menschliche Ersatzteile. Wie viel ist da dran? Wieviel ist da technologischer Mythos? Mit menschlicher Haut und Knorpeln ist "erfolgreich" experimentiert worden. Eine Industrie, welche Nieren aus der Retorte und gezüchtete Ersatzlebern herstellt, sind Zukunftsträume. Klonen heisst Bilden von Zellmaterial ohne Befruchtung. Die Frösche ohne Kopf und Dolly, das geklonte Schaf, Realität oder Mythos?

Degeneriert, meinte Edgar. Aber wenn jemand nur am Leben bleiben kann mit Hilfe der Gentechnologie, sei das ein berechtigter Grund weiterzuforschen. Da gingen die Meinungen auseinander. Die Gentechnologie forscht in folgenden Bereichen: Landwirtschaft und Ernährung (Pflanzen mit Resistenz gegen Herbizide, Kälte und Schädlinge). Tierzüchtung (Einsetzen von Wachstumshormonen in Zuchttiere). Umweltschutz (Gezüchtete Mikroben reinigen industrielle Abfälle). Medizin (Herstellung von Insulin, Krebsforschung, pränatale Diagnostik).

"Wir bei der Ciba-Geigy sind davon überzeugt, dass Investitionen in die Biotechnologie sich eines Tages auszahlen werden. Ihr kontrollierter und sinnvoller Einsatz könnte künftig in vielen menschlichen Lebensbereichen neue Perspektiven öffnen, wo bisher Ausweglosigkeit vorherrschte."

Pros und Konus. Ehrfurcht vor der Wissenschaft und Vertrauen in den Fortschritt versus ethische Überlegungen (Schutz des Lebens) und Technologiekritik: auch schon die Atomlobby hat uns eine glücklichere Welt mit Atomreaktoren versprechen wollen. Dass Gensoya schon auf den Tischen steht und man keine Möglichkeit hat, sich zu wehren, fand Judith Huber unfassbar. Politisches Engagement - unbedingt! Die Forschung ist kein "wertfreier" Raum für Experimente, wie sie sich häufig darstellt, fand Adi. Judith Albisser urteilte verhaltener, zeigte sich von den Möglichkeiten wissenschaftlicher Forschung fasziniert und meinte, dass, falls Gentechnologie als Schlüsseltechnologie Zukunft haben werde, es gälte, damit umzugehen.

Dies und viel mehr wurde gesagt. Hier kapituliert der Schreiber vor der Fülle der Argumente...

Hier der angekündigte Einschub: im zusammenstoss ist einiges gegangen. Eine neue Planungsgruppe (sie plant Veranstaltungen und Produktionen) hat sich gebildet: Judith Albisser, Adi Blum, Michael Wolf, Guy Krneta und Severin Perrig sind da dabei. Geplant im Frühling ist eine Produktion, die den Arbeitstitel "Körper" trägt. Sie hat am ersten Mai Premiere in der Tuchlaube, Aarau. Die Proben beginnen im März. Die Vorbereitungen laufen natürlich seit längerer Zeit. Das Dossier zur Produktion kann man bei jedem Nachtessen anschauen/durchlesen. Es wird wieder - wie beim "Fourier" - ein Rahmenprogramm zum Thema organisiert. Hier suchen wir auch noch Künstler und Künstlerinnen, die Lust hätten, mit Objekten dabeizusein.

Das nächste Treffen also diesen Freitag. Und wie immer: Wer sein Interesse an der Diskussion verloren hat, soll mir doch das sagen und ich werde nichts mehr schicken. Mit lieben Grüssen. Adi.