Grammatron - ein Klassiker der Hyperfiction

von Adi Blum

 

<Abstract>

Abe Golem ist Netzkünstler. Er ist der Schöpfer des allmächtigen Zaubercodes. Wer den Code beherrscht, erringt die Macht über die Welt. Seine Gegenspielerin heisst Cynthia Kitchen, eine ehemalige Verehrerin von Abe, die sich aber nach einem Streit mit Abe in den Machtbereich von MACRO und In-Tell begeben hat und an der Programmierung von Prague 23, einer virtuellen Stadt in der Electrosphere, mitarbeitet.

Abe wird eingeladen, eine Reise nach Prague 23 zu unternehmen. Ihm zur Seite gestellt wird Ms. A, eine perfektes Abbild von Cynthia, ein vorprogrammierter Avatar. Als seine Führerin durch Prague 23 steht sie ihm zu Diensten. Sie ist Mätresse und geistige Führerin gleichzeitig. Abe jedoch wünscht sich nichts sehnlicher, als wieder mit der real-life-Cynthia zusammen zu sein.

Das gesellschaftliche Leben in Prague 23 wird durch die Regeln des E-Commerce bestimmt. Gendermorphs üben sich in der Kunst der Verführung. Abe wird von Mail-Spam überschwemmt. Virtuelle Drogen verurachen Pixel-Orgasmen. Jede erlebte Geschichte kostet Zaster. Zeit ist Geld in Prague 23.

Die Reise mit Ms. A führt Abe in The Sector. Im Shack 76, einem Höhlensystem unterhalb des Sectors wartet Cyn auf den Herumgetriebenen. Sie möchte sich nun mit ihm auf ewig verbinden. Das Projekt, das dies ermöglichen soll, hat Cyn in jahrelanger Arbeit aufgebaut und heisst GR (Genesis Rising). Ms. A. führt Abe in "the Halls of Cyberspace Development". Abe ist bereit für einen "Merger" mit Cyn, eine Verschmelzung ihres Geistes. Sie brennen ihre Daten gemeinsam auf eine Festplatte. Da Cyn aber die dominanteren Strukturen hat, kommt die Reise nach GR der Auflösung von Abe Golam gleich.

Mit einem Klick werden die Daten der beiden in eine neue Electrosphere geschickt. Faktisch kommt der Leser wieder zurüch zum Anfang der Geschichte, und alles beginnt wieder von vorne. Nur befindet sich der Leser nun sozusagen auf einem neuen Level der Geschichte. Retrospektiv betrachtet ist nun klar, dass Abe Golam und Cynthia Kitchen von Anfang an das gleiche Wesen gewesen sind.

Grammatron ist eine faszinierende Sci-Fi-Geschichte, die geschickt mit dem Medium spielt, die Möglichkeiten des Hyperlinks nutzt, um die Geschichte weiterzutreiben, Umwege zu machen und Kreisbewegungen zu initiieren. Trotz Miteinbezug von Bildern und Tönen bleibt es doch ein von der Sprache getragenes Werk. Die gedanklichen Links zum jüdischen Golemmythos und zu anderen literarischen Topoi sind alles andere als zufällig.

(ab)

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