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Der versteckte Text: Aspekte digitaler Bilder

von Roberto Simanowski

 

1. Text als Bild

Die zunehmende Visualisierung der Kommunikation und Wahrnehmung ist seit langem ein beklagtes Phänomen unserer Gesellschaft. Als Neil Postman 1985 dem Fensehen eine unhintergehbare Grammatik der Zerstreuung unterstellte, war er damit schon nicht mehr der erste. Vor ihm hatte Günther Anders 1956 dem Medium der Bilder schlechte Noten ausgestellt und wiederum einige Jahrzehnte zuvor war es das Kino, dem man die Unterstützung der Zerstreuung bis hin zum Verderben der Sitten nachsagte. Die Bilderflut ist eine alte Gefahr, und immer wird sie diskutiert im Zusammenhang mit Zerstreuung, Amüsement oder Spektakel. Jochen Schulte-Sasse spricht 1988 in diesem Zusammenhang von einer "Dramaturgie des Spektakels", die "kaum noch der Sprache [vertraut], um ihre Ziele zu erreichen."
Die digitalen Medien erschienen da zunächst als Sachverwalter des Wortes und führten mit ihren grünen Zeichen auf schwarzem Grund zu einer regelrechten Renaissance des Entzifferns. Bekanntlich ist der Computer, trotz seiner abstrakten mathematischen Grundlage, diesem Text-Spartanismus längst entwachsen. Das Interface ist inzwischen handhabbar für jeden halbwegs pfiffigen Analphabeten, Websites ohne Images werden zur Seltenheit und sind schon als Zeichen des Widerstandes zu verstehen und mit der Flash-Technologie scheinen denn auch die digitalen Medien endgültig beim Spektakel angekommen zu sein. Die einst die neuen Techniken priesen, äußern sich nun ähnlich besorgt wie vormals Anders und Postman. So spricht Robert Coover, 1992 Prophet der Hyperfiction in der New York Times Book Review, Anfang 2000 vom "constant threat of hypermedia: to suck the substance out of a work of lettered art, reduce it to surface spectacle." (1)
Die Art der Präsentation dieser Warnungen zeigt schon [die Effekte folgen auf den Klick, wenn immer sich an der Cursorspitze ein Kreis bildet, es sind mehr, als man zunächst annimmt: wer das hartnäckige Fragezeichen gesehen hat, hat alles gesehn], dass es eine Visualisierung vor dem Bild gibt, in der der Bedeutung des Textes durch die Art und Weise seiner Präsentation überlagert wird. Die Buchstaben erobern sich als materielle Zeichen den Raum, sie haben ihren Auftritt nicht mehr nur vor dem inneren Auge des Lesers, sie wollen vielmehr tatsächlich gesehen werden und verlören in der akustischen Realisierung mehr als ihre Schriftlichkeit. Dass es sich dabei nicht allein um die Übertragung der konkreten Poesie ins Reich des Digitalen handelt, liegt auf der Hand angesichts der Faktoren Zeit und Interaktion, die im vorliegenden Fall zusätzlich eine Rolle spielen.
Dass diese Visualisierung von Text eine über den Effekt seines Erscheinens hinausgehende Bedeutung haben kann, wird wohl ebenfalls einsichtig, wenn man sich nur den obersten Satz hernimmt, der auf der Verdrängung eines Teils des Anfangssatzes beruht. Nicht, dass dieses Verfahren im vorliegenden Fall in besonders avancierter Weise semantisiert worden wäre. Aber man kann sich wohl leicht vorstellen, was aus diesen "Teleskopsätzen" mit dem entsprechenden Talent nicht nur im Technischen zu machen ist.
Und wenn Urs Schreiber im hier zugrundeliegenden Projekt "Epos der Maschine" an späterer Stelle einen längeren Text durch das Verschwinden einzelner Wörter so verjüngen lässt, dass sich plötzlich auch die Bedeutung der stehengebliebenen Zeichen völlig ändert, ist dies einerseits ein Spiel, vergleichbar der barocken Kombinationslyrik, andererseits auch eine neue Aussage, die erst vor dem Hintergrund der zurückgenommenen ihre Bedeutung erhält. Auch das Spektakel, so ist an dieser Stelle schon einmal festzuhalten, muss entziffert werden.(2) Kommen wir zur Visualisierung mit Bildern.

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