Das Programm der literarischen Ostern lebt von der Grundidee, dem monologischen Lesen ein dialogisches zur Seite zu stellen. Setzten wir letztes Jahr den Schwerpunkt auf Popliteratur, soll es dieses Jahr die Literatur im Netz sein. Mit dem elektronischen Medium Internet sind ganz neue Textformen entstanden und parallel dazu eine neue Gemeinde von Digerati, NetzautorInnen, die ihren künstlerischen Ausdruck im Gestalten von Hypertexten gefunden haben. Was heute eine relativ kleine Gruppe von Avant-Garde-SchreiberInnen entwickelt, prägt morgen schon einen grossen Teil unseres literarischen Alltags.

Wir laden Persönlichkeiten aus der Netzszene ein, um Ihnen drei Festivaltage lang Hyper-Literatur und ihre Inszenierungsformen näher zu bringen. Es liegt in der Natur der Sache, dass das nicht ohne Konzerte oder spartenübergreifende Veranstaltungen abgehen kann, ist doch das Internet selbst nicht nur Sprachmedium, sondern bietet Platz für (bewegte) Bilder und Musik. Ostern steht also wiederum für ungewöhnliche Lesungen, die das monologische Leseritual des klassischen Literaturbetriebs auffrischen und ergänzen können.

Was in der Musik seit Jahren praktiziert wird, macht vor der Literatur nicht halt. surf > sample > manipulate beschreibt eine Produktionsmethode (siehe auch den gleichnamigen in diesem Heft abgedruckten Aufsatz von Mark Amerika): AutorInnen sammeln Textsamples und manipulieren sie. Aus solchen Manipulationen entsteht Literatur. Ein gutes Beispiel hierzu sind die "remixes", die der gesunde Menschenversand am Freitagabend präsentiert. Zahlreiche AutorInnen machten sich schamlos an bekannte und unbekannte Vorbilder, remixten Zoe Jenny, Goethe oder Nietzsche. Im Bereich des Samplings darf man auch sehr gespannt sein auf den Hypertext-Pionier Mark Amerika aus Colorado (www.grammatron.com), der samstags mit FILMTEXT : AN ORIGINAL WWW SOUNDTRACK in Luzern eine Weltpremiere feiert.

Für Interfiction > digitales Erzählen haben wir vier hochkarätige ReferentInnen gewinnen können, die den Blick der Wissenschaft ins Spiel bringen und Impulse geben, die weit über den eigenen Erfahrungshorizont hinausgehen.

Das Netz macht aber auch kontaktfreudig und animiert zu kollaborativen Projekten. So haben sich Gion M. Cavelty, Monica Cantieni, Michael Stauffer und Susanne Berkenheger (in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Schriftstellerinnen- und Schriftsteller-Verband) zusammengefunden, um gemeinsam Chatfiguren zu entwickeln (Idee: Tilman Sack). Das Projekt Talk Over Beethoven wird am Sonntagabend in Form einer Lesung vorgestellt. Neu dieses Jahr ist DIE PLATTFORM. Die Literaturzeitschrift art.21 – zeitdruck hat Carte Blanche, um sich und ihre AutorInnen vorzustellen.

Raymond Federman ist Romanschriftsteller, Lyriker, Essayist, Kritiker und Übersetzer und gilt als einer der führenden Vertreter der literarischen Avantgarde der USA. Am Sonntagabend ist er in der einmaligen Kombination mit der Aachener Jazz-Combo Art de Fakt zu sehen und zu hören. Im Theater Schlachthaus, Bern, findet eine Parallelveranstaltung statt.

Adi Blum